Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
Schauspiel Frankfurt: »Quartett« von Heiner MüllerSchauspiel Frankfurt: »Quartett« von Heiner MüllerSchauspiel Frankfurt:...

Schauspiel Frankfurt: »Quartett« von Heiner Müller

Premiere am 24. Januar 2020, 20.00 Uhr, Kammerspiele

»Les liaisons dangereuses« (»Gefährliche Liebschaften«) nannte Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos seinen Briefroman über das ausgehende Ancien Régime und schuf damit ein Hauptwerk der französischen Literatur und einen Klassiker der Weltliteratur gleichermaßen.

 

Knapp 200 Jahre nach der Veröffentlichung 1782 nimmt sich Heiner Müller des Stoffes an und schafft eine zeitgenössische Adaption. In der Form einer radikalen Verknappung wird aus den mehr als 150 Briefen des Originals lediglich der Hauptkonflikt zwischen der Marquise de Merteuil und ihrem Ex-Geliebten, dem Vicomte de Valmont, herausgearbeitet und die schicksalhafte Begegnung mit den beiden Frauen Volanges und Tourvel. Unter Heiner Müllers starkem Zugriff wird aus den komplexen Liebesränken ein brutaler und rücksichtsloser, schließlich tödlicher Zweikampf zwischen Mann und Frau, gefochten mit Sprache und Rhetorik, getrieben von Begierde, Sex und Verachtung, erzählt mit einer dem Autor eigenen Endzeitsehnsucht und überraschend viel Humor.

Salon vor der Französischen Revolution / Bunker nach dem dritten Weltkrieg – in diesem dystopischen Raum-Zeit-Gefüge lässt Heiner Müller die Marquise de Merteuil und ihren ehemaligen Geliebten Valmont aus dem Briefroman »Gefährliche Liebschaften« von Choderlos de Laclos aufeinandertreffen. Der dekadenten Welt einer dem Untergang geweihten Aristokratie entsprungen, rühmen sich die beiden rivalisierenden Figuren einer radikal amoralischen Vernunft. Ihre zynische Absage an die Moral setzt sich mit einer bürgerlichen Ordnung auseinander, die Gut und Böse klar unterscheiden zu können glaubt. Die Aufklärungskritik nimmt in Quartett die Form grausamer sexueller Intrigen an: Merteuil trägt Valmont auf, er solle ihre jungfräuliche Nichte Volanges verführen, ihn aber interessiert die Entehrung der gottesfürchtigen Gattin Madame de Tourvel mehr.

Im Verlauf des Stückes übernehmen die beiden alle Rollen eines Theaters auf dem Theater: Valmont spielt sich selbst und die Rolle der Tourvel, Merteuil spielt Valmont und die Nichte Volanges. Einem tödlichen Begehren nach der Überwindung der Getrenntheit als diskontinuierliche soziale Wesen entspringen sexuelle und moralische Grenzüberschreitungen. Ihr obszönes Spiel befragt Geschlechteridentitäten und die Binarität der tradierten Geschlechterordnung, aus der sie sich nicht zu befreien vermögen.

Der serbische Regisseur Miloš Lolić arbeitet nach seiner Inszenierung von Elfriede Jelineks »Am Königsweg« mit »Quartett« zum zweiten Mal am Schauspiel Frankfurt.

Regie Miloš Lolić
Bühne Hyun Chu
Kostüme Jelena Miletić
Musik »Jung an Tagen«
Dramaturgie Katja Herlemann

mit Stefan Graf, Sarah Grunert, Anna Kubin, Sebastian Reiß

die nächsten Vorstellungen: 2./ 3./ 23. Februar, 8./18. März 2020

Das Bld zeigt Heiner Müller

 

 

 

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 13 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

EIN TRAGISCHES REISEERLEBNIS -- "Mario und der Zauberer" von Thomas Mann im Studiotheater STUTTGART

Zum 150. Geburtstag von Thomas Mann hatte in Stuttgart "Mario und der Zauberer" nach der gleichnamigen Novelle von Thomas Mann Premiere. Auf konzentriertem Raum lässt die Regisseurin Daniela Urban…

Von: ALEXANDER WALTHER

DER MUSIKKRITIKER LÄSST GRÜSSEN -- "Der Tod, das muss ein Wiener sein" im Renitenztheater Stuttgart

Das Wiener Kaffeehaus als Institution wurde hier gebührend gefeiert. Nikolaus Büchel bereitete das Ganze als Regisseur und gebürtiger Wiener auch kabarettistisch auf: "Wie kommt der Wolf ins…

Von: ALEXANDER WALTHER

SPIEL ZWISCHEN LICHT UNDS SCHATTEN -- "Otello" von Giuseppe Verdi in der Staatsoper STUTTGART

Die Inszenierung von Silvia Costa integriert Videoeinlagen von John Akomfrah, wo die Otello-Tragödie in eindringlichen Bildern nachgezeichnet wird. Der erste Akt ist geprägt von einer Statue und einem…

Von: ALEXANDER WALTHER

ZWISCHEN KLASSIK UND UNTERHALTUNG -- "Heavy Metal aus Schwaben" im Schloss Bietigheim-Bissingen

Das Tuba-Euphonium Quartett des Landesblasorchesters Baden-Württemberg mit Steffen Burkhardt, Peter Teufel, Erich Hermann und Markus Scholl präsentierte einen interessanten Streifzug durch die…

Von: ALEXANDER WALTHER

ZAUBEREI UND KABARETT VERBUNDEN -- Kabarett mit Thomas Fröschle im Glasperlenspiel ASPERG

"Investigative Comedy vom Feinsten" präsentierte Thomas Fröschle im Glasperlenspiel, wobei er auf die Verwechslung mit "Äffle und Pferdle" gleich zu Beginn hinwies. Zauberkunst und Kabarett wurden…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑