Knapp 200 Jahre nach der Veröffentlichung 1782 nimmt sich Heiner Müller des Stoffes an und schafft eine zeitgenössische Adaption. In der Form einer radikalen Verknappung wird aus den mehr als 150 Briefen des Originals lediglich der Hauptkonflikt zwischen der Marquise de Merteuil und ihrem Ex-Geliebten, dem Vicomte de Valmont, herausgearbeitet und die schicksalhafte Begegnung mit den beiden Frauen Volanges und Tourvel. Unter Heiner Müllers starkem Zugriff wird aus den komplexen Liebesränken ein brutaler und rücksichtsloser, schließlich tödlicher Zweikampf zwischen Mann und Frau, gefochten mit Sprache und Rhetorik, getrieben von Begierde, Sex und Verachtung, erzählt mit einer dem Autor eigenen Endzeitsehnsucht und überraschend viel Humor.
Salon vor der Französischen Revolution / Bunker nach dem dritten Weltkrieg – in diesem dystopischen Raum-Zeit-Gefüge lässt Heiner Müller die Marquise de Merteuil und ihren ehemaligen Geliebten Valmont aus dem Briefroman »Gefährliche Liebschaften« von Choderlos de Laclos aufeinandertreffen. Der dekadenten Welt einer dem Untergang geweihten Aristokratie entsprungen, rühmen sich die beiden rivalisierenden Figuren einer radikal amoralischen Vernunft. Ihre zynische Absage an die Moral setzt sich mit einer bürgerlichen Ordnung auseinander, die Gut und Böse klar unterscheiden zu können glaubt. Die Aufklärungskritik nimmt in Quartett die Form grausamer sexueller Intrigen an: Merteuil trägt Valmont auf, er solle ihre jungfräuliche Nichte Volanges verführen, ihn aber interessiert die Entehrung der gottesfürchtigen Gattin Madame de Tourvel mehr.
Im Verlauf des Stückes übernehmen die beiden alle Rollen eines Theaters auf dem Theater: Valmont spielt sich selbst und die Rolle der Tourvel, Merteuil spielt Valmont und die Nichte Volanges. Einem tödlichen Begehren nach der Überwindung der Getrenntheit als diskontinuierliche soziale Wesen entspringen sexuelle und moralische Grenzüberschreitungen. Ihr obszönes Spiel befragt Geschlechteridentitäten und die Binarität der tradierten Geschlechterordnung, aus der sie sich nicht zu befreien vermögen.
Der serbische Regisseur Miloš Lolić arbeitet nach seiner Inszenierung von Elfriede Jelineks »Am Königsweg« mit »Quartett« zum zweiten Mal am Schauspiel Frankfurt.
Regie Miloš Lolić
Bühne Hyun Chu
Kostüme Jelena Miletić
Musik »Jung an Tagen«
Dramaturgie Katja Herlemann
mit Stefan Graf, Sarah Grunert, Anna Kubin, Sebastian Reiß
die nächsten Vorstellungen: 2./ 3./ 23. Februar, 8./18. März 2020
Das Bld zeigt Heiner Müller