In bruchstückhaft-expressiven Momentaufnahmen skizzierten die Künstler jener Zeit eine zwischen konservativem Moralismus und industriellem Aufbruch zerrissene Welt, deren Farben, Formen, Sprache und Klänge sich schließlich in einem neuen Raum-Zeit-Gefüge auflösen sollten. Doch mit Beginn des 1. Weltkrieges implodierte das Verhältnis von Künstler-Ich und Umwelt. Während die einen begeistert in den Krieg zogen, der die ersehnte gesellschaftliche Umwälzung bringen sollte, zogen sich die anderen in ihr Innerstes oder das Exil zurück. Der Krieg beendete den gemeinsamen europäischen Gedanken und führte zu unterschiedlichsten künstlerischen Reaktionen – DADA, Abstraktion oder Neue Sachlichkeit sind nur einige Versuche, mit den traumatischen Erfahrungen umzugehen und die Trümmer jener auseinandergefallenen Welt in einer künstlerischen Verarbeitung zu (be-)greifen.
Ausgehend von den Verschränkungen der Künste spürt Carsten Knödler in „Europa! – Ein patriotischer Abend, 1917!“ künstlerischen Strömungen und Biografien jener Welt um 1917 nach, die zwischen den Zeiten in hoffnungsvollem Aufbruch ihren Anfang nahm und mit dem 1. Weltkrieg schließlich in einem kollektiven Kollaps mündete, dessen Folgen bis heute spürbar sind. Im poetischen Zusammenspiel von Text, Theater, Tanz, Musik und Bildender Kunst greift er gesellschaftliche Auseinandersetzungen ebenso wie musikalische und theatrale Impulse auf, um sie spiegelbildlich unserer heutigen Zeit gegenüberzusetzen: Texte, Gedichte, Lieder, Pamphlete und Tagebucheinträge u. a. von Paul Klee, Else Lasker-Schüler, Wassily Kandinsky und Franz Marc verbinden sich mit Schauspiel, Musik und Tanz zu einer sinnlichen und zugleich skizzenhaft-rissigen Collage, die – nicht zuletzt im Verweis auf die dadaistischen Arbeiten von Hugo Ball, Kurt Schwitters oder Hans Arp – auch heute danach fragen lässt, welche Wege und Ausdrucksformen die Kunst findet, um Gegenwart abzubilden.
Acht Spieler, Musiker und eine Tänzerin zeichnen im je individuellen Zugriff ein dichtes Szenenbild, das von einem brüchigen Zitat der Belle Époque über Franz Marcs individuelles Erleben des 1. Weltkrieges bis weit in die 1920er Jahre hinein reicht. Und während sich die schmerzlichen, kollektiven Folgen der Nachkriegszeit schließlich in der Welt der (DADA-)Varietés auflösen, verweist der Abend bereits auf das nächste Kapitel, in dessen Schatten sich schon der 2. Weltkrieg andeutet.
Carsten Knödler (Regie)
studierte Schauspiel an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ in Leipzig. Nach diversen Gastengagements war er acht Jahre lang als Schauspieler und Regisseur fest an den Theatern Chemnitz tätig. Ab 2003 inszenierte er freiberuflich an einer Vielzahl von Theatern in ganz Deutschland. Von 2009 bis 2013 leitete Carsten Knödler als Schauspielintendant des Gerhart-Hauptmann-Theaters Görlitz-Zittau den Standort Zittau und war Mitbegründer der internationalen Theaterinitiative JOS, die eine Zusammenarbeit der Theater von Liberec, Jelenia Góra und Zittau initiierte.
Seit 2013 ist Carsten Knödler Schauspieldirektor der Theater Chemnitz. Hier inszenierte er zuletzt u. a. Molières „Der Menschenfeind“, Tschechows „Onkel Wanja“, das Musical „Struwwelpeter (Shockheaded Peter)“ und Goethes „Faust I“. Im polnischen Zielona Góra erarbeitete er zudem Tankred Dorsts „Fernando Krapp hat diesen Brief geschrieben“ im Bühnen- und Kostümbild von Teresa Monfared.
Regie: Carsten Knödler
Bühne und Kostüme: Teresa Monfared
Musikalische Leitung, Komposition und Musik: Steffan Claußner
Choreografie und Tanz: Eszter Manz-Kozár
Mit: Magda Decker, Martin Esser, Andreas Manz-Kozár, Lauretta van de Merwe, Philipp Otto, Philipp von Schön-Angerer, Martin Valdeig, Andrea Zwicky