Bei diesem Stück aus dem Jahre 1807 handelt es sich um die wohl schönste Bearbeitung des alten mythologischen Stoffes von der Verführung der Alkmene durch Jupiter, aus deren Verbindung Herkules hervorgegangen ist, der schließlich von Amphitryon großgezogen wurde. Kleist griff auf Molières Bearbeitung der Sage von 1668 zurück und führte diese weiter zu einer philosophischen Ergründung des »Ichs«. Was ist das Ich wert, dessen man sich so sicher zu sein glaubt, wenn es von anderen nicht anerkannt oder mutwillig demontiert wird? Für diese Inszenierungkehrt Regisseur Jasper Brandis ans Theater Heilbronn zurück. Dieter Richter (Bühne) und Karen Simon (Kostüme) arbeiten zum ersten Mal in Heilbronn.
Zum Inhalt
Alkmene ist völlig trunken von der heißen Liebesnacht mit ihrem Gemahl Amphitryon und verabschiedet ihn schweren Herzens in die letzten Kampfhandlungen des Krieges. Da steht er wenige Stunden später wieder vor ihrer Tür: »Oh Gott! Amphitryon. So früh zurück?«, ruft sie aus und stürzt ihn damit in Konfusion. Denn er hat seine Frau seit fünf Monaten nicht gesehen und glaubt, sie müsse sich vor Sehnsucht nach ihm verzehren. Und nun meint sie, er sei zu früh zurück? »Mit diesen Worten hast du Wasser zu meiner Liebe Flammen getragen«, wirft er ihr vor. Aber Alkmene kann das überhaupt nicht verstehen, erinnert sie ihn doch an die gestrige Liebesnacht: »Ich gab dir alles was ich hatte … kann man sich inniger des Geliebten freun?«
Die beiden wissen nicht, dass Gott Jupiter höchst selbst vom Olymp herabgestiegen ist, um mit dieser schönen Frau zu schlafen. Er nahm die Gestalt Amphitryons an, denn Alkmene liebt ihren Mann so sehr, dass sie sich nie auf einen anderen, auch nicht auf den größten aller Götter eingelassen hätte. Jupiters willfähriger Gehilfe ist Merkur, der für ihn die Morgenröte aufhält, damit die Nacht länger dauert. Merkur verwandelt sich zudem in Amphitryons Diener Sosias, treibt üble Scherze mit dessen Frau Charis und stürzt den wahren Sosias in eine Krise, als der nach Hause eilt, um die Heimkehr seines Herrn vorzubereiten. Er wird aus seinem eigenen Haus quasi von sich selbst vertrieben.
Der von allen #MeToo-Debatten noch völlig unberührte Göttervater nimmt sich, was er will, und löst damit ein Verwirrspiel aus, das für den Zuschauer voll aberwitziger Komik, für die Beteiligten aber nicht ohne Bitterkeit ist. Eifersucht, Zweifel, Scham – Alkmene und der echte Amphitryon gehen emotional durch die Hölle. Jupiter indes hat noch lange nicht genug. Nach dem Erlebnis der bedingungslosen Hingabe von Alkmene möchte er, dass diese Liebe ihm und nicht ihrem Gemahl gehört. Er legt es darauf an, dass die Eheleute in völlige Bedrängnis geraten und geht so weit, Amphitryon ins Gesicht zu sagen, dass er nicht der sei, der er zu sein behauptet. Dank seiner Verwandlungskunst gleicht Jupiter dem Verzweifelten wie ein Tropfen Wasser dem anderen. Schließlich soll Alkmene entscheiden, welcher von beiden der wahre Amphitryon ist.
Da, wo das Urvertrauen in die eigene Identität einmal verloren gegangen ist, kann man sich nur schwer davon wieder erholen. Und es bleibt das berühmteste »Ach!« der Literaturgeschichte – das »Ach!« der Alkmene.
Existentielle Tiefgründigkeit und sprachliche Virtuosität
Neben der hohen Kunst, Komödie und Tragödie so wunderbar zu vereinen, und neben der existentiellen Tiefgründigkeit dieses Stückes ist es vor allem seine sprachliche Virtuosität, die Kleists »Amphitryon« unsterblich und zum Blockbuster auf den deutschsprachigen Bühnen macht. Dabei musste das Stück 92 Jahre warten, bevor es 1899 am neuen Theater Berlin überhaupt zum ersten Mal aufgeführt wurde. Der Philosoph und Herausgeber des »Amphitryon« Adam Müller schrieb an seinen Freund, den Schriftseller Friedrich Gentz: »Ich sende Ihnen … die von mir herausgegebene dramatische Arbeit eines jungen Dichters, der vielleicht Besseres und Höheres als irgendein anderer verspricht …« Und Gentz antwortet nach der Lektüre umgehend, dass dieses Werk eine Vollkommenheit erreiche, die er derzeit bei keinem anderen deutschen Dichter sehe.
Ob Goethe dieses Urteil vernommen hatte? Ihm hatte Kleist das Stück zur Lektüre gesandt. Goethe, der bei jeder Gelegenheit öffentlich Kritik daran übte, entsorgte das Exemplar schließlich, indem er es als Einwickelpapier für eine Geldsendung an einen Jenaer Verleger benutzte mit dem Begleitschreiben: »Eingewickelt ist das Geld in jenes merkwürdige Produkt, von welchem wir zusammen gesprochen …«
Wenige Jahre nach der Uraufführung von »Amphitryon« begann eine Kleist-Renaissance, die bis heute anhält: Franz Kafka bewunderte den rasenden Melancholiker und sah in ihm seinen »eigentlichen Blutsverwandten«. Thomas Mann nannte den »Amphitryon« 1927 das »witzig-anmutsvollste, das geistreichste, das tiefste und schönste Theaterspielwerk der Welt«. Das »Kleistische« war für ihn das Moderne schlechthin. Vielen gilt Kleist heute als unverstandener Visionär, der seiner Zeit auf tragische Weise voraus war.
Amphitryon
Lustspiel von Heinrich von Kleist nach Molière
Regie: Jasper Brandis
Bühne: Dieter Richter
Kostüme: Karen Simon
Dramaturgie: Andreas Frane
Es spielen:
Jupiter: Stefan Eichberg
Merkur: Lion Leuker
Amphitryon: Arlen Konietz
Sosias: Oliver Firit
Alkmene: Regina Speiseder
Charis: Romy Klötzel
Premiere B am 9. Oktober, 19.30 Uhr, Großes Haus, Theater Heilbronn