
Dating-Apps, Fitness-Tracker, Banking-Apps, Playlists oder Kontostände flirren den virtuos agierenden Darstellerinnen hier nur so um die Ohren! Bei der KI "ORPHEAI" ist eben alles anders. Die analysiert schonungslos ein ganzes Leben und illustriert auch die krampfhafte Loverboy-Suche im Internet. Die Figuren im Netz haben genug gelernt, um sich an den Nutzern gnadenlos zu rächen. Da beginnen selbst die Daten zu träumen. Die Komposition von Volkan T error und das Video von Robert Seidel ergänzen diese intensiven Eindrücke in passender Weise.
Das Publikum hat kaum Gelegenheit, über das Geschehen nachzudenken, weil die Ereignisse ganz unvermittelt und atemlos auf einer riesigen Leinwand hereinplatzen. Ein in Berlin lebender Autor präsentiert hunderte von Interviews, Gesprächen, Lügen und Fiktionen, die dem Zuschauer rasch über den Kopf wachsen. Die Hochstapelei der KI erinnert manchmal sogar an die Lügengeschichten des Barons von Münchhausen. Da glaubt man dann zuletzt tatsächlich, dass der Teufel gar nicht existiert. Der Überwachungskapitalismus wird hier ad absurdum geführt.
Nur das Theater als moralische Anstalt wird nicht wirklich hinterfragt. Manches bleibt unkommentiert. Und doch gibt es eine entscheidende Szene, wo das ganze Geschehen frontal angegriffen wird. Celina Rongen fragt vorwurfsvoll in die Runde, wo manche Leute in entscheidenden Momenten eigentlich waren: "Wie groß ist eure Einsamkeit?" Da bleibt einem das Lachen dann im Halse stecken und man fragt sich, wie weit menschliche Zerstörungslust hier schon KI-gesteuert ist. Rasend frisst sich das KI-Monster durch die endlosen Weiten der abstrusen Datensätze, die trotzdem die Welt bedeuten. Selbst die Chats der Mutter werden akribisch analysiert. Chatbots oder sprachgesteuerte Bluetooth-Speaker machen sich selbständig, der Bewusstseinsstrom lässt sich nicht mehr kontrollieren. Fehlinformierte Grenzkontrolle und unverhoffte Tinder-Matches beherrschen die weiteren Handlung.
Man spürt, wie die Künstliche Intelligenz in einer geradezu unheimlichen Weise immer mehr Macht gewinnt. Die Menschen sind ihr rettungslos ausgeliefert. Sie verlieren sich in einem riesigen Spinnennetz von Datensätzen. Und die KI herrscht über den Menschen in unfassbarer Weise, legt ihm Worte in den Mund, die dieser nie gesagt hat. Man ist schließlich überzeugt davon, dass sich die Künstliche Inteliigenz eigentlich nur seriös und sinnvoll in der Musik einsetzen lässt. Die drei Schauspielerinnen bestärken das Publikum in dieser positiven Einschätzung, weil sie nämlich auch gut singen können. Der Autor Thomas Köck kritisiert hier deutlich die verfälschende Dekonstruktion menschlicher Rationalität und Empfindung. Er verweist auch auf Rainer Werner Fassbinders Filmmelodram "Angst essen Seele auf" aus dem Jahre 1974, das von der Liebe eines marokkanischen Gastarbeiters und einer deutschen Reinigungskraft und der offen rassistischen Anfeindung erzählt.
Mateja Mededs Inszenierung schafft dabei tatsächlich einen durchaus faszinierenden multimedialen Raum, wo ein intensives Zusammenspiel von Text und Musik entsteht: "Und Dankeschön an alle Beteiligten und ihre Daten, die mir die Maschine zur Verfügung gestellt hat." Für das Team (Mitarbeit Bühne Helen Stichlmair und Kostüm Clara-Louisa Künne) gab es lauten Jubel und "Bravo"-Rufe.











