Das Land versinkt im Chaos. Wird Overall seinen Fehler einsehen? Und was wird aus der Welt? Der Schönberg-Schüler Viktor Ullmann schrieb diese beißende Satire auf die politische Situation im Dritten Reich gemeinsam mit dem Künstler und Dichter Peter Kien 1943 im Ghetto Theresienstadt. Beide wurden kurz danach im Oktober 1944 im KZ Auschwitz ermordet. Der somit unter besonderen Lebensumständen entstandene Operneinakter ist bis zu seiner verdienten Wiederentdeckung 1995 nicht zur Uraufführung gekommen. Das Werk zeichnet sich durch eine auffallende Stilvielfalt aus lyrischen Arien, Jazz- und Tanzmusikelementen der 1920er Jahre sowie Volksweisen und Chorälen aus.
Im Theater Pforzheim erklingt „Der Kaiser von Atlantis“ in einem Opernabend zusammen mit der nur wenige Jahre nach dem Ende von Nazi-Deutschland 1948 von Hans Werner Henze komponierten, ebenfalls einaktigen Oper „Das Wundertheater“. Darin kündigt der Theaterdirektor Chanfalla ein wunderbares Spektakel an, das aber angeblich nur jene sehen können, die in rechtmäßiger Ehe gezeugt wurden oder nicht „neuchristlichen Blutes“ sind, also keine konvertierten Juden. Chanfalla erklärt, was gespielt wird, und das Publikum tobt – tatsächlich ist auf der Bühne jedoch nichts zu sehen. Als dies ein hinzukommender Soldat bemerkt, beginnt eine Hetzjagd auf den vermeintlichen Bastard bzw. Neuchristen.
Henze setzte einerseits die bereits im Zwischenspiel von „Don Quijote“-Autor Miguel de Cervantes vorhandene Antisemitismuskritik in Bezug zum Holocaust, und andererseits den Witz des Stoffes eindrucksvoll in Musik um. In seinem Nachkriegswerk bilden zudem Tanz, Sprech- und Musiktheater eine auffallende, zwischen Leichtigkeit und Rauschhaftigkeit pendelnde Einheit, die richtungsweisend für die Entwicklung der Oper in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sein sollte.
Intendant und Regisseur Thomas Münstermann, der auch die Ausstattung der Produktion übernimmt, sieht in der Kombination der beiden Werke viele Anknüpfungspunkte: „Die Verbindung der beiden so kurz nacheinander entstandenen Werke liegt auf der Hand: Das Publikum im ,Wundertheater‘ besteht aus den gleichen Menschen, die einige Jahre zuvor noch alles miterlebt haben; natürlich unversehrt, von der ,arischen‘ Seite aus. Über den Kunstgenuss suchen sie vor allem gesellschaftliche Bestätigung. Doch auch manche Opfer haben überlebt, für die Kunst bis vor kurzem in den Ghettos und KZs noch eine andere, überlebenswichtige Funktion hatte. Diese Welten prallen in der Nachkriegszeit unmittelbar aufeinander: Obwohl sich alles verändert zu haben und Gras über die Sache gewachsen zu sein scheint, bleiben die Wunden und haben in den Köpfen oft noch die gleichen Vorurteile überlebt. Antisemitische Denkweisen kann man zum Beispiel häufig gar nicht einfach so schnell ablegen. Aber der Umgang damit ist entscheidend, und man hätte schon damals aus der Geschichte lernen können, denn bereits zur Zeit von Cervantes wurden Juden und sogenannte Conversos, also zum Christentum konvertierte Juden, verfolgt.“
„Der Kaiser von Atlantis oder Die Tod-Verweigerung“
Spiel in einem Akt von Viktor Ullmann und Peter Kien
„Das Wundertheater“
Oper von Hans Werner Henze nach einem Intermezzo von Miguel de Cervantes
Musikalische Leitung Robin Davis
Inszenierung Thomas Münstermann
Dramaturgie Inken Meents
Mit Santiago Bürgi, Jina Choi, Marie-Kristin Fichtner, Stamatia Gerothanasi, Dieter Goffing, Lilian Huynen, Paul Jadach, Dirk Konnerth, Elisandra Melián, Lukas Schmid-Wedekind, Helena Steiner, Philipp Werner u.a.
Badische Philharmonie Pforzheim
Pforzheimer Kultur Schaffer
Weitere Vorstellungen am Mi, 23.2. um 20.10 Uhr, Fr, 4., Mi, 9. und So, 20. März sowie an weiteren Terminen im Laufe der Spielzeit mit Einführung 20 Min. vor Beginn im Foyer
Karten gibt es ab 17,70 € (erm. 8,90 €) an der Theaterkasse am Waisenhausplatz unter Tel. 0 72 31/39-24 40, im Kartenbüro in den Schmuckwelten und auf www.theater-pforzheim.de