Der französische Pianist Alexandre Kantorow brillierte zunächst als Solist im Klavierkonzert von Brahms mit federleichter Anschlagstechnik und lupenreinen Klangfolgen. Die sinfonischen Züge dieses Werkes wurden von Teodor Currentzis und dem Uropia Orchestra überzeugend betont. Abgeklärtheit und Wärme breitete sich rasch aus - manchmal blitzte sogar die trotzig aufbegehrende Leidenschaft des ersten Klavierkonzerts von Brahms auf. Wie aus romantischen Märchenwäldern erschien das Hauptthema des ersten Satzes, Allegro non troppo, als geheimnisvoller Hornruf. Es wurde vom Klavier-Echo sehr wirkungsvoll übernommen und mit vollen Harmonien in die Gegenwart geholt. Und im Orchester steigerte es sich dann überraschend straff und tatkräftig an den Energien verschiedener Seiten- und Gegenthemen, mit deren Hilfe es die sehr farbige, kunstvolle Durchführung bestritt und in einer großen Schlusssteigerung verklang.
Völlig anders in der Stimmung war bei dieser Interpretation dann das ungestüm musizierte Scherzo, Allegro appassionato, mit seinem von Kantorow trotzig und unwirsch gestalteten Thema. Die eher zwiespältige Leidenschaft trat deutlich hervor - wie schon der Vorder- und Nachsatz verrieten. Die Sonatenform des Satzes verbannte das Trio, beschwor in der Durchführung aber eine Fülle von teils spukhaft-gejagten, teils drastischen und träumerischen Visionen. Schwärmerische Andacht ohne falsche Sentimentalität fesselte zuletzt beim dritten Andante-Satz, der lyrisch um zwei Themen kreiste, die Brahms in Liedern verwendete. "Immer leiser wird mein Schlummer" sang hier ausdrucksvoll das Solocello - und das Klavier meditierte träumerisch-zart sowie jäh-erregt über diese innige Weise. Im Mittelteil mahnten die Klarinetten wie aus der Ferne an die Wendung "Hör' es, Vater in der Höhe, aus der Fremde fleht dein Kind" aus dem Lied "Todessehnen". Wieder breitete der einfühlsame Pianist Alexandre Kantorow einen lichten Schleier um das Traumbild, bis der Anfangsteil wiederkehrte und entschwebend ausklang. Unproblematisch wurde das Rondo-Finale, Allegretto grazioso, präsentiert. Sein graziöses Kopfthema musste sich in mancherlei Abwandlungen und Einkleidungen behaupten und entwickelte aus seiner einfachen Bratschenbegleitung das ungarisch getönte Seitenthema wie selbstverständlich, Currentzis ließ die Streicher zuletzt auch immer wieder aufstehen, um die Spielintensität zu steigern. Eine schöne Idee.
Bezaubernde konzertante Auseinandersetzungen bildeten den Schlusspunkt. Mahlers vierte Sinfonie in G-Dur, die im Jahre 1900 vollendet wurde, gilt heute als seine populärste Sinfonie. Selbstquälerische Problematik sucht man hier vergebens. Es genügen vier maßvoll gefasste Sätze, das Orchester wirkt nicht aufgebläht, sondern schwelgt in bewegenden Streicherklängen. Im Finale tritt die Sopranstimme hinzu, um die "himmlischen Freuden" zu besingen, von denen schon der erste Satz einen Vorgeschmack bot. Die erste Station der Reise zum Himmel wurde mit heiterer Abgeklärtheit geschildert. Da zeigte sich der lächelnde Geist Wiens. Ein von Teodor Currentzis sehr forsch gestaltetes Wanderlied deutete die freudig gehobene Stimmung noch kräftiger aus - bis das zweite Thema sich warm in den Bratschen ausbreitete. Im Scherzo spielte "Freund Hein" dann ungestüm auf, die Solovioline wurde zur unheimlichen Fiedel des Todes, ihr Klang besaß die fahle Schärfe des Gespentischen. Noch besser gelang dem konzentriert musizierenden Ensemble unter Currentzis das "ruhevolle" Adagio mit seinen bewegend gestalteten Variationen über ein ernstes Bild des "Paradieses". Diese Melodien wussten von Leid und Schmerz, klagend sangen sie sich empor in jenseitige Welten. Aber sie vergingen wie blasse Wolken.
Schweizer Stimmung verbreitete sich dank der aus Luzern stammenden Sopranistin Regula Mühlemann im sphärenhaft-dezent gestalteten Finale - da spürte man dann das von Mahler so geliebte Gebirge sehr deutlich! "Wir genießen die himmlischen Freuden" sind Verse, die Mahler "Des Knaben Wunderhorn" entnommen hat. In vier Strophen weitete sich dieses Lied zum himmlischen Konzert, in dem auch das Schellengeläut und der Engelsgesang aus der dritten Sinfonie nicht fehlten. Als Zugabe interpretierte Regula Mühlemann noch wunderbar träumerisch-berührend "Morgen!" von Richard Strauss, wo es zu einer innigen Zwiesprache von Violin- und Sopranstimme kam.
Jubel und Ovationen!