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BILDER, DIE SICH INS GEDÄCHTNIS BRENNEN -- "Madama Butterfly" von Giacomo Puccini im Festspielhaus Baden-Baden bei den OsterfestspielenBILDER, DIE SICH INS GEDÄCHTNIS BRENNEN -- "Madama Butterfly" von Giacomo...BILDER, DIE SICH INS...

BILDER, DIE SICH INS GEDÄCHTNIS BRENNEN -- "Madama Butterfly" von Giacomo Puccini im Festspielhaus Baden-Baden bei den Osterfestspielen

am 20.4.2025

Interessant ist, dass sich Puccini von zwei Japanerinnen für "Madama Butterfly" beraten ließ. Kawakami Sadayakko wurde als 15jährige Geisha an den japanischen Premierminister verkauft und machte später Karriere als Schauspielerin. Hisako Oyama war die Frau des japanischen Gesandten in Rom. Auch bei ihr holte sich Puccini Rat über die japanische Musik und Kultur.

Copyright: Christiane Haumann-Frietsch, Festspielhaus Baden-Baden

Die farben- und bilderreiche Inszenierung des Italieners  Davide Livermore stellt sich ganz bewusst in den Dienst der Partitur. Dies gilt auch für das weiträumige und mit Filmsequenzen arbeitende Bühnenbild von Gio Forma. Das Video von D-Wok und die einfallsreichen Kostüme von Mariana Fracasso passen sich dem Geschehen weitgehend an. Er lässt die Protagonisten auf ihr Leben zurückschauen. Den Rahmen seiner Inszenierung bildet das Jahr 1978. Ein junger Amerikaner macht sich auf nach Nagasaki, um die Geschichte seiner Mutter, der Geisha Cio-Cio-San, zu erforschen. Im Gepäck befinden sich Zeichnungen, die er als Kind zu Papier gebracht hat. Für die vielschichtige Figur dieses jungen Mannes wählte der Regisseur Butoh-Tänzer. Menschliche Emotionen stehen dabei sehr stark im Mittelpunkt. Das hat zuweilen eine stärkere, manchmal aber auch eine schwächere Wirkung. Eine zweite Ebene schafft Livermore durch den subtilen Einsatz von Video-Effekten, die auf Leinwände projiziert werden. Der Beginn der Handung mit der Reise in unsere Zeit wirkt dabei nicht so überzeugend wie diese nachfolgende szenische Erzählung, bei der psychologische Momente eine große Rolle spielen.

So gibt es ein suggestives Nebeneinander von "physischem Ort" und "Seelenort". Cio-Cio-San steht auch bei Livermore einsam und allein im Mittelpunkt. Sie weiß von dem Fluch, der auf ihrer Seele lastet, von dem Selbstmord ihres Vaters - sie möchte dieser bösen Vergangenheit entfliehen. Es sind Bilder, die sich ins Gedächtnis brennen. Die amerikanische Flagge scheint sogar zu verbrennen. Durch die Erniedrigung durch Pinkerton, die Ausbeutung von Seiten der Familie und das Geschacher des Heiratsvermittlers Goro leidet sie mehrfach. Auch deswegen setzt sie ihrem Leben ein Ende, nachdem Pinkerton sie wegen einer anderen Frau verlassen hat. Livermore stellt Pinkerton hier durchaus als gewissenlosen Liebhaber dar, der erst zuletzt aus seiner Situation erwacht, als es zu spät ist.

Eine zentrale Rolle ist in der Inszenierung auch jene Szene, als "Madama Butterfly" von ihrer Familie verstoßen wird. Bei den Liebesszenen zwischen Madama Butterfly und Pinkerton hätte man sich zuweilen allerdings noch mehr Leidenschaft gewünscht. Wie raffiniert Puccini hier "Exotisches" mit seinem üblichen italienischen Stil vermischt hat, machen die Berliner Philharmoniker unter der einfühlsamen Leitung von Kirill Petrenko immer wieder packend deutlich. Die Pentatonik oder Fünftönigkeit steht immer im Zentrum des harmonischen Geschehens. Hinzu kommt bei Petrenko eine erstaunliche klangliche Durchsichtigkeit, die im Laufe dieses Abends immer mehr zunimmt. Die melodischen Momente werden in überwältigender Weise ausgekostet und übertragen sich durchaus überzeugend auf die Sänger. Zarte Stimmungsakzente und präzis gestaltete Tonsymbole in leitmotivischer Funktion beherrschen  diese Interpretation sehr stark.

Die besondere Stimmung des Übergangs vom zweiten zum dritten Akt wird facettenreich ausgekostet. Die Konversationsmusik mit der nordamerikanischen Hymne betont Petrenko aber nicht übertrieben. Und die schwungvolle Melodik zwischen Pinkerton und Sharpless kommt nicht zu kurz. Als Goro sich ins Gespräch einmischt, erhält die Musik ihren "japanischen" Beiklang. Bei der Erwartung von Pinkertons Braut gipfelt die Melodik in sphärenhaft hohem B. Eleonora Buratto als "Madama Butterfly" vermag ihrer Partie vor allem in der Tiefe und den strahlenden Spitzentönen Glanz und Emphase zu verleihen. Jonathan Tetelman als Pinkerton verfügt über ein großes tenorales Volumen, das sich bei den strahlkräftigen Spitzentönen noch weiter öffnet. Beim großen Liebesgesang erreicht Eleonora Buratto ein zielsicheres hohes C.

Als Suzuki überzeugt ferner Teresa Iervolino mit einem ergreifenden Charakterporträt und filigraner Chromatik. In weiteren Rollen fesseln Tassis Christoyannis als Sharpless, Didier Pieri als Goro, Lilia Istratii als Kate Pinkerton und Aksel Daveyan als Fürst Yamadori. Giorgi Chelidze als Onkel Bonze, Jasurbek Khaydarov als kaiserlicher Kommissär, Ondrei Vasata als Standesbeamter, Natalie Jurk als Cio-Cio-Sans Mutter, Eunsoo Lee als Tante, Lilia Istratii als Cousine und Benjamin Suran als Onkel Yakuside vervollständigen dieses in sich stimmige Ensemble. Hinzu kommen Anton Forcher (Jonathan Dicker) als Cio-Cio Sans Sohn Dolore, Felix Chang als junger Mann Dolore sowie Ayaka Kamei als ältere Frau Suzuki. Der Tschechische Philharmonische Chor Brünn in der Einstudierung von Petr Fiala bietet eine fulminante Gesamtleistung. Als Stimmen am Telefon fungieren Marco Quaglia sowie Simonetta Solder.

Neben aller kontrapunktischen Finesse beschreiben die ausgezeichnet musizierenden Berliner Philharmoniker unter Petrenko den Übergang von der ariosen Lyrik zum schmerzlichen Alltag in überaus bewegender Weise. Diese Intention überträgt sich ebenfalls auf die mit viel Herzblut und Leidenschaft agierenden Sängerinnen und Sänger. Gerade das für Puccini so wichtige Moment der seelischen Erregung gewinnt hier eine erstauliche Intensität und Ausdruckskraft. Mit innerlich vibrierender Stimme fragt Madama Butterfly dann Suzuki, ob Pinkerton gekommen sei. Geheimnisvoll erklingt nochmals das große Thema der japanischen Ganztonleiter, wenn sich Madama Butterfly zum großen Opfer durchgerungen hat, das man von ihr verlangt hat. Hervorragend gestaltet Kirill Petrenko dann den letzten überwältigenden Orchesterausbruch, der in einen leisen Paukenrhythmus übergeht. Die Violoncelli intonieren in berührender Weise das Motiv. Die sterbene Madama Butterfly schickt mit gebrochener Stimme ihr Kind zum Spielen. Petrenko akzentuiert das Pathos nie sentimental. Wuchige Unisonoschläge und geheimnisvolle japanische Reminiszenzen beschließen das Werk bei dieser bewegenden Aufführung wie eine offene Frage. Und Cio-Cio-Sans Sohn bleibt von allen verlassen zurück.

Zuletzt Jubel, "Bravo"-Rufe, tosender Schlussapplaus für diese insgesamt sehenswerte Inszenierung.     
 

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