
Offenbachs Oper basiert im Wesentlichen auf den Hoffmann'schen Erzählungen "Der Sandmann", Rat Krespel, "Die Geschichte vom verlorenen Spiegelbild" und "Klein Zaches, genannt Zinnober", die mit biographischen Details aus Hoffmanns Leben verwoben werden.
Der erste und fünfte Akt ist quasi die Rahmenhandlung des Stückes und wurde von Tobias Ribitzki inszeniert. Vor dem Bühnenvorhang sitzt ein Dichter in einer leeren Stube an einem Tisch vor leerem Papier mit einem griffbereiten Glas Wein. Er zündet eine Kerze an, der Bühnenvorhang lüftet sich und das Spiel seiner Imaginationen beginnt. Ein fast Spitzweg'sches Bild, das das romantische Bild eines Künstlers, der zwischen den Polaritäten von Leben und Kunst entscheiden muss, bedient.
Die Muse in Gestalt des Studenten Nicklausse hat Angst, dass Hoffmanns Inspiration versiegt, wenn er sich ernsthaft seinem Liebesleben widmet, wenn die Liebe erfüllt wird: "Man ist groß durch die Liebe, aber größer noch durch die Tränen." Daher versucht sie Stella, die Geliebte Hoffmanns, von ihm fern zu halten und zeigt ihr gleichzeitig wie unstet Hoffmanns Liebe ist, indem sie sie an den Geschichten als Begleiterin teilhaben lässt.
Mit dem Lied von "Klein Zack" ehrt Offenbach Hoffmanns Stammlokal Luther und Wegner beim Gendarmenmarkt in Berlin, dessen eifriger Besucher der reale Hoffmann war und das nur ein paar Schritte von seiner Wohnung entfernt liegt.
Im zweiten Akt erliegt die Figur Hoffmann der Illusion der perfekten Frau, nämlich Olympia. Diese entpuppt sich aber als Automatenfrau und macht Hoffmann zum Gespött der Gesellschaft. Inszeniert wurde dieser Akt vom britischen Theaterkollektiv von 1927 (hier Paul Barritt, Esme Appleton und Jennie Dunne), der in der bereits durch die "Zauberflöte" unter der Regie von Barrie Kosky bekannten Weise durch die Kombination von Animation mit live acting besticht. Das ist äußerst humorvoll und eignet sich besonders in dieser Opernsequenz um die kuriose Liebe eines Menschen zu einem künstlichen Wesen zu sezieren und die lächerlichen Züge liebevoll und witzig zu karikieren, wenn rote Liebesherzchen en masse daher flattern und wenn die Geliebte letztendlich in die Luft gesprengt wird. Ach perdu!
Im dritten Akt nimmt sich der australische Puppenspieler Neville Tranter mit seinen lebensgroßen, bizarren Klappmaulpuppen der Geschichte um die Sängerin Antonia an, die todkrank ist und daher nicht mehr singen darf. Hoffmann ist in sie verliebt, weiß aber nichts von ihrer tödlichen Krankheit. Ihr Vater Crespel versucht, sie vom Singen abzuhalten und hat quasi eine Kontaktsperre verhängt, um sie zu beschützen, insbesondere vor dem Einfluss Dr. Miracles, der Antonia ermuntert, weiterhin zu singen. Alle Figuren sind als Puppe mit Puppenführer und Sänger auf der Bühne, bis auf die Muse, Antonia und Hoffmann, Antonias verstorbene Mutter ist nur als Puppe präsent, ihr Gesang kommt aus dem Off. Tranter hat eine zusätzliche, stumme Figur hinzugefügt: "Min", der wahrhaft Liebende, der das Geschehen gestisch kommentiert und am Schluss tief trauert, während Hoffmann mehr in die Liebe selbst als in Antonia verliebt war.
Kontrastreich zu den bisherigen Akten ist der vierte Akt, den die niederländische Choreographin Nanine Linning verantwortet hat. Hier begegnet Hoffmann der Kurtisane Giulietta, die im Auftrag Dapertuttos sein Spiegelbild erlangen will. Eine Geschichte wie ein Nachtmähr. Linning hat das Geschehen in ein traumhaftes, blaues Nachtgeschehen verlegt. Der blau gekleidete Chor bewegt sich durchchoreographiert wie Wellen oder Barken in Venedigs Kanälen über die Bühne. Die Barkarole erklingt hier ungewohnt mehr im piano. Die Kurtisane Giulietta im silbern glänzenden Kleid strahlt Kühle aus und ist so einig mit dem kühlen Bild des Spiegels. Hoffmann, der sich erst gegen die Verführungskünste Giuliettas gewehrt hat, erliegt ihr schließlich doch, wird zum Mörder und verliert sein Spiegelbild. Szenisch ist das unterstützt mit dem Ausfahren eines riesigen silbernen Rundvorhangs, mit einer silbernen, gekippten Spiegelbox, in der sich Hoffmann und Giulietta verlieren. Das sind mächtige Theaterbilder.
Im fünften Akt verliert Hoffmann Stella endgültig. In seiner Dichterstube erlischt die Kerze, wird aber von der Muse erneut entzündet für eine neue Inspiration, ein neues Werk.
Vier Regisseure heißt natürlich auch vier unterschiedliche Herangehensweisen. Dass dies bei "Hoffmanns Erzählungen" gut funktioniert, liegt auch daran, dass in jedem Akt unterschiedliche Frauentypen vorgeführt werden und unterschiedliche Stimmungen herrschen: witzig-karikaturhaft im Olympia-Akt mit der Illusion einer perfekten Frau, romantisch mit der fremdbestimmten Antonia, kühl-boshaft im vierten Akt mit der Kurtisane Giulietta.
Auch schauspielerisch und gesanglich war alles mehr als überzeugend. Ovidiu Purcel als Hoffmann hatte an diesem Abend ein wenig Anlaufschwierigkeiten, fand dann aber doch noch zu überragender Leistung. Kimberley Boettger-Soller als omnipräsente Mu-se/Nicklausse, Elena Sancho Pereg als Olympia mit überaus klarem Sopran, Darija Auguštan als kränkliche Antonia, Sarah Ferede als leidenschaftliche Giulietta und Sarah Ritters als ent-täuschte Stella waren mit ihren Rollen eins und gesanglich überragend.
Für den stimmlich indisponierten Bogdan Taloș, der weiterhin den Gegenspieler zu Hoffmann in den Rollen des Lindorf, Coppélius, Dapertutto und Dr. Miracle spielte, sprang an diesem Abend Joshua Bloom gesanglich ein, was er mit Bravour meisterte. Eine tolle Ensemble-Leistung auch in den "Nebenrollen" mit Andrés Sulbarán als Andrès, Cochenille, Pitichinaccio und Franz, Thorsten Grümbel als Luther und Crespel, Florian Simson als Nathanaël und Spa-lanzani, Rita Kapfhammer als Stimme der Mutter, Jake Muffett als Schlemihl. Der Chor hatte dieses Mal eine komplizierte Choreographie zu lernen und setzte das eindrucksvoll um.
Antonino Fogliani ließ die Düsseldorfer Symphoniker angenehm zurückgenommen spielen, es gab kein prononciertes Herumgeschmettere bei den Lieblingsstücken, was dem Bühnengeschehen die ganze Aufmerksamkeit schenkte.
Mit enthusiastischem Beifall seitens des Publikums wurde diese ungewöhnliche, facettenreiche Inszenierung ausgiebig gefeiert.
"Hoffmanns Erzählungen" von Jacques Offenbach
Phantastische Geschichten vom Lieben und Scheitern
Opéra-fantastique in fünf Akten
Libretto von Jules Barbier nach dem gleichnamigen Theaterstück von Jules Barbier und Michel Carré
In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Koproduktion mit der Oper Graz
Musikalische Leitung: Antonino Fogliani
Inszenierung: 1927 / Nanine Linning / Tobias Ribitzki / Neville John Tranter, Irina Shaposhnikova
Bühne: Stefan Rieckhoff
Kostüme: Silke Fischer
Chorleitung: Gerhard Michalski
Licht: Sebastian Alphons
Dramaturgie: Christin Hagemann
Hoffmann: Ovidiu Purcel
Muse/Nicklausse: Kimberley Boettger-Soller
Olympia: Elena Sancho Pereg
Antonia: Darija Auguštan
Giulietta: Sarah Ferede
Stella: Sarah Ritters
Lindorf/Coppélius/Dapertutto/Dr. Miracle: Bogdan Taloș (Szene) Joshua Bloom (Gesang)
Andrès/Cochenille/Pitichinaccio/Franz: Andrés Sulbarán
Luther/Crespel: Thorsten Grümbel
Nathanaël /Spalanzani: Florian Simson
Stimme der Mutter: Rita Kapfhammer
Schlemihl: Jake Muffett
Chor der Deutschen Oper am Rhein
Düsseldorfer Symphoniker