Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
Uraufführung: "DER REISENDE" - nach dem Roman von Ulrich Alexander Boschwitz im Schauspielhaus ZürichUraufführung: "DER REISENDE" - nach dem Roman von Ulrich Alexander Boschwitz...Uraufführung: "DER...

Uraufführung: "DER REISENDE" - nach dem Roman von Ulrich Alexander Boschwitz im Schauspielhaus Zürich

Premiere: Mittwoch, 22.5.2019, 19:30 Uhr, Pfauen/Kammer

Otto Silbermann, ein angesehener und wohlhabender jüdischer Kaufmann, sieht sich infolge der Novemberpogrome 1938 gezwungen, aus Berlin zu fliehen und seine Frau, sein Geschäft und sein Haus zurückzulassen. Für Silbermann waren die eigenen jüdischen Wurzeln nie von Bedeutung, doch mit der systematischen Judenverfolgung der Nazis zerfällt auch

seine säkulare Welt in Juden und Nicht-Juden, in Menschen, die dazugehören, und Geächtete.

 

 

 

Von einem Augenblick zum anderen rechtlos geworden, sieht er sich verurteilenden Blicken, abschätzigem Getuschel und öffentlicher Hetze ausgesetzt. Orientierungslos, gedemütigt und verzweifelt um Haltung ringend, durchquert Silbermann schlaflos mit der deutschen Reichsbahn seine Heimat, in welcher er über Nacht zum Gejagten geworden ist. Sein Versuch, illegal die Grenze zu überqueren, scheitert.

So höllisch finster der zeithistorische Hintergrund ist: Otto Silbermann hebt sich nicht als Lichtgestalt von ihm ab. Er ist ein widersprüchlicher und eigenwilliger Charakter, kein Held, sondern ein Mensch, dessen Handeln nur das eine nachvollziehbare Ziel kennt: überleben. Wie nicht wenige patriotisch gesinnte deutsche Juden damals ist er in Momenten der existenziellen Angst von der Überzeugung getrieben, nur die anderen Juden seien schuld an seiner Not: „Es sind zu viele Juden im Zug, dachte Silbermann. Dadurch kommen wir alle in Gefahr. Euch anderen habe ich es überhaupt zu verdanken. Wenn ihr nicht wärt, dann könnte ich in Frieden leben. Weil ihr aber seid, falle ich in eure Unglücksgemeinschaft! Ich unterscheide mich durch nichts von anderen Menschen, aber vielleicht seid ihr wirklich anders und ich gehöre nicht zu euch. Ja, wenn ihr nicht wärt, würde man mich nicht verfol-gen. Dann könnte ich ein normaler Bürger bleiben. Weil ihr existiert, werde ich mit ausgerottet.“

Als Silbermanns Aktentasche mit 30’000 Reichsmark gestohlen wird und er somit sein letztes Hab und Gut verliert, fasst er einen wahnsinnigen Entschluss.

Fast 80 Jahre nach der englischen Erstveröffentlichung erscheint „The Man Who Took Trains“ des deutsch-jüdischen Autors Ulrich Alexander Boschwitz 2018 auf Deutsch auf der Grundlage eines Typoskripts – und wird zum Bestseller. Der 1915 in Berlin geborene Kaufmannssohn Boschwitz hat den Roman im Alter von 23 Jahren, wenige Jahre vor sei-nem Tod, unter dem Eindruck der Novemberpogrome wie im Fieberrausch geschrieben. Er zeigt eindrücklich und verstörend, was es für einen Menschen bedeutet, alles zu verlieren und auf der Flucht zu sein. Ma-non Pfrunder inszeniert den nun neu entdeckten Roman „Der Reisende“ und setzt seinen lakonischen, berührenden und spannenden Text zeitgenössisch in Szene.

Manon Pfrunder, geboren 1988, studierte Schauspiel an der EFAS in Zürich. Während dieser Zeit machte sie auch erste Erfahrungen in der Regie und inszenierte in der freien Theaterszene „2 nach Orff“ von Marcus Everding. Danach arbeitete sie in Berlin am Heimathafen Neukölln und an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz als Gastregieassistentin. Seit 2015 ist Manon Pfrunder Regieassistentin am Schauspielhaus Zürich. 2018 zeigte sie eine Adaption von „Abendlicht" nach der Erzählung von Stephan Hermlin.

DER REISENDE

Regie: Manon Pfrunder
Regie Manon Pfrunder
Bühne Sandra Antille
Kostüme Iva Ivanova
Bearbeitung Armin Kerber in Zusammenarbeit mit Manon Pfrunder
Video Timo Raddatz
Sounddesign & Musik Martin Hofstetter
Dramaturgie Benjamin Große
Licht Thomas Adam

Mit: Klaus Brömmelmeier Vera Flück Matthias Neukirch Nicolas Batthyany

Weitere Vorstellungen in der Pfauen/Kammer
25./27./31.Mai, jeweils 19:30 Uhr 2./10./14./15./17./19./20./22./25./27. Juni, jeweils 19:30 Uhr

Das Bild zeigt  Ulrich Alexander Boschwitz

 

 

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 17 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

IM GESPENSTISCHEN NACHTZIRKUS --- "Das Rheingold" von Richard Wagner in der Staatsoper Stuttgart

Stephan Kimmig verlegt die Handlung von Wagners "Rheingold" in einen unheimlichen Nachtzirkus. Das merkt man schon gleich zu Beginn, wenn die Rheintöchter so ganz ohne Wasser Alberich verführen und…

Von: ALEXANDER WALTHER

Großstadtklänge --- „Surrogate Cities“ von Demis Volpi in der deutschen Oper am Rhein

Auf der leeren Bühne finden sich nach und nach das Orchester, die Tänzer und Tänzerinnen ein. Die Solo Posaune setzt ein und der Zuschauer wird in den Trubel der Straßen einer Großstadt versetzt. Zum…

Von: von Dagmar Kurtz

RÄTSEL UM ERLÖSUNG --- Wiederaufnahme von Richard Wagners "Götterdämmerung" in der Staatsoper STUTTGART

Die verdorrte Weltesche spielt bei Marco Stormans Inszenierung der "Götterdämmerung" von Richard Wagner eine große Rolle. Gleich zu Beginn zerfällt die Wahrheit in seltsame Visionen, der Blick der…

Von: ALEXANDER WALTHER

NICHT AUF DEN LITURGISCHEN BEREICH BESCHRÄNKT --- Bruckners e-Moll-Messe und Motetten bei BR Klassik

Anders als die frühe d-Moll-Messe blieb die 1866 in Linz komponierte e-Moll-Messe nicht auf den liturgischen Bereich beschränkt. Die alten Kirchentonarten stehen bei der Messe in e-Moll von Anton…

Von: ALEXANDER WALTHER

GLUT UND FEUER -- Jubiläumskonzert 40 Jahre Kammersinfonie im Kronenzentrum BIETIGHEIM-BISSINGEN

1984 wurde dieser für die Region so bedeutende Klangkörper von Peter Wallinger gegründet. Unter der inspirierenden Leitung von Peter Wallinger (der unter anderem bei Sergiu Celibidache studierte)…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑