Die Oper könnte mit gleichem Fug nach dem Maler Mario Cavaradossi heißen, dem Geliebten der Tosca, der sich mit Politik beschäftigt hat, auf der richtigen Seite steht, Solidarität mit einem Verfolgten übt und den man zwar verhaften, foltern und ermorden, aber nicht zum Verräter machen kann.
Ort und Zeit sind genau fixiert: Rom, unmittelbar nach dem 14. Juni 1800. Der 14. Juni 1800 ist der Tag der Schlacht von Marengo, in der das Heer Napoleons die Hauptmacht der gegen das bürgerliche Frankreich verbündeten Feudalstaaten Europas, Österreich, vernichtend schlug. In Italien beendet dieser Sieg die Herrschaft der feudalen und klerikalen Reaktion, die das Land mit Terror überzogen hatte, um die ersten Erfolge der patriotischen Bewegung zu ersticken, die nach der Revolution der Franzosen auf der italienischen Halbinsel Zeichen der Hoffnung gesetzt hatten. Die letzten Stunden des Terrorregimes bestimmen das Geschehen in Puccinis Oper entscheidend. Sie sind klein bloßer Hintergrund.
Da es in der Welt auch heute noch Mächte gibt, die Bücher verbrennen, Bilder zerstören oder Künstler zu Tode foltern, ist „Tosca” natürlich nicht einfach eine „historische" Oper.
Fixierbarer Ort und fixierbare Zeit verführen zu der Frage, ob dann auch die Figuren des Stücks wirklich gelebt haben. Zumindest sind sie in dem gleichnamigen Drama des französischen Schriftstellers Victorien Sardou, das als Vorlage für die Oper diente, mit detaillierten Biographien ausgestattet, deren Konkretheit durchaus den Anschein von Authentizität erwecken kann. In der Tat hat Sardou intensive historische Vorstudien betrieben und hinterließ eine umfangreiche Materialsammlung. Sie gibt jedoch, was auffällig ist, kaum Hinweise, welchen Quellen Sardou die Angaben entnahm. Dass eine Figur Charakterzüge einer historischen Persönlichkeit trägt, ist nur in einem Fall sicher auszumachen: Cavaradossi hat als Vorbild den französischen Dichter Andre Chenier (1762—94). Deswegen ist er aber noch lange kein Chenier-Abklatsch. Das anzunehmen hieße Sardous schriftstellerische Potenz unterschätzen. Für die Fabel selbst ist wahrscheinlich die Anregung durch Victor Hugos Prosa-Drama „Angelo, Tyrann von Padua“ (1835) wichtig. Sardou könnte es entweder im Original gekannt haben oder auf dem Umweg über die Oper „La Gioconda“ (1876) von Amilcare Ponchielli, die auf Hugo zurückgeht. „La Gioconda“ ist voll von Parallelen zu „Tosca“.
Der Realismus von Sardous Drama und Puccinis Oper hängt nicht von der obigen Frage ab. Er beruht darauf, daß Drama wie Oper typische Menschenschicksale in einer konkreten historischen Situation meisterhaft darstellen: eine Gesellschaft, in der das Glück des Menschen durch den brutalen Zugriff unrechtsstaatlicher Macht zerstört wird.
Der Unrechtsstaat ist in der Person des Polizeichefs Scarpia zutreffend porträtiert. Um Cavaradossi aus dessen Gewalt zu befreien, ist die Tosca zu jedem Opfer bereit, sogar dazu, sich von Scarpia vergewaltigen zu lassen. Das Messer, mit dem sie ihn ersticht, findet sie durch Zufall. Doch das System funktioniert auch ohne Scarpia, solange die kleinen Scarpias vorhanden sind. Cavaradossi wird ermordet, wie es trotz aller gegenteiligen Versprechungen von Anfang an geplant war, und der Tosca bleibt nur der Selbstmord, um einem schlimmeren Ende zu entgehen. War alles umsonst (wie sie meint )? Und das fünf Minuten vor zwölf?
Es ist eine Erkenntnis von Bedeutung, die in der Operndramatik im Lauf des 19. Jahrhunderts (Meyerbeer! Wagner!) an Boden gewinnt, daß der individuelle Held im Alleingang die unmenschliche Machtausübung einer reaktionären Klasse nicht zu brechen vermag. Beethoven konnte noch postulieren, daß Leonore Florestan befreit und der Tyrann bestraft wird. Für alle nachfolgenden Künstler ist dies reines Wunschdenken. Nicht Liebe siegt über Macht, sondern Macht über Liebe. Doch bleibt Liebe die Alternative zur Macht. Nicht die politische Alternative, so naiv waren weder Sardou noch Puccini. Aber die moralische und humane. Und so ist das Bekenntnis zur Liebe ein Bekenntnis zum Leben, und wo Tod regiert, ein Bekenntnis gegen den Tod. Das letzte Duett zwischen der Tosca und Cava-radossi, direkt vor seiner Erschießung, ist eine Liebesekstase. Aber dabei reden beide nicht nur von sich selbst, ziehen sich keineswegs zurück ins Private; sie reden von der ganzen Welt und von der Botschaft, die sie als Künstler der ganzen Welt bringen möchten, fern von Scarpias Terrorstaat.
Musikdrama in drei Akten
nach dem Drama von Victorien Sardou
von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica
in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Musikalische Leitung Lutz Rademacher
Inszenierung Ernö Weil
Ausstattung Karin Fritz
Chor Francesco Damiani
Dramaturgie Elisabeth Wirtz
Regieassistenz / Abendregie Guta G. N. Rau
Musikalische Assistenz Sachie Furuya / Mathias Mönius
Inspizienz Marco Struffolino
Soufflage Dietlind Eger
Technische Einrichtung Frank Berger
Beleuchtung Thomas Märker
Maske Kerstin Steinke
* Mitglied im Opernstudio
Symphonisches Orchester, Oprnchor, Extrachor und Statisterie des Landestheaters Detmold
Detmolder Schlossspatzen (Leitung: Christiane Schmidt)
Floria Tosca, berühmte Sängerin Eva Bernard / Megan Marie Hart
Mario Cavaradossi, Maler Per Håkan Precht / Ewandro Stenzowski
Baron Scarpia, Chef der Polizei Sandor Balla / Insu Hwang
Cesare Angelotti Andreas Post* / Olli Rasanen*
Der Mesner Haeyeol Han* / Michael Zehe
Spoletta, Agent der Polizei Markus Gruber
Sciarrone, Gendarm Torsten Lück
Ein Schließer Hoe Chung Kim / Sunghan Lee
Ein Hirt Simone Krampe *
Vorstellungen: Fr, 4.5./ So, 6.5./ Sa, 12.5./ So, 27.5./ Mi, 6.6./ Do, 7.6./ Fr, 22.6.2018
Bild: Giacomo Puccini