In der subtilen Inszenierung von Stephan Kimmig (Bühne: Katja Haß: Kostüme: Anja Rabes) wird das Thema "Entlassungsurlaub" erwähnt - der ursprüngliche Titel des Romans. Israelischen Wehrpflichtigen steht nach ihrem Dienst an der Wache ein "Entlassungsurlaub" zu. In dieser Situation befindet sich Libby, die Protagonistin des Stücks. Sie arbeitet dann als Verhörspezialistin für die israelische Armee: "Ich habe 968 Terroristen verhört und zum Reden gebracht." Libby ergänzt: "Keiner kennt die wahren Gefühle einer Person." Sie möchte aus dem Teufelskreis der Gewalt ausbrechen. Ein großes Gebäude fährt fast drohend heran, das am Schluss der Aufführung wieder zurückgefahren wird. Es erinnert auch an die gemeinsame Zeit, die Menschen in einem Kibbuz verbringen. Der palästinensische Student Adib verändert ihr Leben und sie kann sich eine Auszeit nehmen.
Dann besucht sie ihren Großvater Dave in seinem Kibbuz in der Wüste. Dort findet sie die Tagebücher ihrer Urgroßmutter Eva, die Anfang des 20. Jahrhunderts nach Palästina kam. Vor Jahren gründete sie mit anderen jungen Leuten einen Kibbuz, in dem ihr Sohn Dave immer noch lebt. Anhand von Evas Tagebüchern begibt sich Libby in die Vergangenheit. Eine scheinbar mutige Frau lässt Mann und Kind zurück, um in Deutschland Tänzerin zu werden. Im Berlin der 30er Jahre lernt sie dann die Theaterszene um Bertolt Brecht kennen, wird mit dem Nationalsozialismus konfrontiert. Camille Dombrowsky mimt Libby mit vielen Facetten - sie ist eine Person, die eine lebenswichtige Entscheidung zu treffen hat. Für Libby ist die Begegnung mit den wiederauflebenden Erinnerungen ihrer Urgroßmutter Eva und ihres Großvaters Dave lebenswichtig. Als Eva tritt Paula Skorupa mit Libby in einen sehr berührenden Dialog, bei dem man auch geschichtliche Zusammenhänge erfährt. So parodiert Paula Skorupa souverän Hitler-Reden und entlarvt sich vor einem Nazi-Liebhaber selbst als Jüdin, wobei die Beziehung deswegen abrupt endet. Die Zeitebenen verschwimmen. Und auch die Akteure der Brecht-Theatergruppe greift sie scharfzüngig an. Der Sarkasmus wird dabei auf die Spitze getrieben.
Felix Strobel hat als Adib einen starken Auftritt, als er von Libby verhört wird, um herauszufinden, ob er Verbindungen zu einer Terrororganisation hatte. Dabei behauptet er, dass seine Großmutter von Libbys Großvater sexuell missbraucht wurde. Libby ist schockiert über diese Anschuldigungen und möchte die Wahrheit über ihren Großvater herausfinden. Dem Regisseur Stephan Kimmig gelingt es, das dramaturgische Geflecht immer weiter zu verdichten. Denn die unglückliche Liebe zwischen Adibs Großmutter Jamila und Libbys Großvater Dave prägt ganz entscheidend das weitere Geschehen. Das Theater erscheint hier tatsächlich als visionäre Kunstform, welche deutlich macht, wie die Menschen aufgrund der dramatischen Ereignisse aus ihrer Lethargie erwachen. "Libby ist ich...Was hast du in mir gesehen, Eva, als du diesen Satz geschrieben hast? An welche Libby hast du gedacht, als du 100 warst und diesen Satz über die zehnjährige Libby geschrieben hast? An die Libby mit 20? 30? 50? Wer bist du, Eva?" fragt Libby ihre Urgroßmutter verzweifelt.
Und auch zwischen Dave und Jamila kommt es zu einem intensiven Dialog: "Der Krieg war stärker als wir beide." Die Zeitebenen verschieben sich in dieser Inszenierung konsequent, wobei manche Details auch noch deutlicher herausgestellt werden könnten. In weiteren Rollen überzeugen Sebastian Röhrle als melancholischer Dave, die überaus wandlungsfähige Therese Dörr als Noga, Gerda, Weill, Lotte, Jamila und Stimme sowie David Müller als Assaf, Josef und Johann. Gabor Biedermann (Maoz, Ephraim, Arnold, Jussuf), Tim Bülow (Moshe, Schläger, Conferencier, Mahmud) und Teresa Annina Korfmacher (Shifra, LJ, Mariechen) fügen sich in diesen fesselnden darstellerischen Reigen ein.
Die Live-Musik von Max Braun und die Choreographie von Michele Seydoux sorgen für intensive Stimmungsbilder. Die Angst vor dem Terror-Regime der Nazis ist hier genauso präsent wie die Panik vor den Babyschlächtern und Vergewaltigern der Hamas. Lebens- und Todestrieb des Menschen treten dabei grell hervor, auch das Drama des Altwerdens und der Jugend wird thematisiert. Stephan Kimmig löst in seiner Inszenierung die Forderung des Autors Joshua Sobol ein, Dinge zu hinterfragen, die scheinbar selbstverständlich sind. Dies gilt auch für die grell überzeichnete Bücherverbrennung 1933. Lang anhaltender Schlussapplaus, "Bravo"-Rufe.