Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
"Im Menschen muss alles herrlich sein" von Sasha Marianna Salzmann - Maxim Gorki Theater Berlin "Im Menschen muss alles herrlich sein" von Sasha Marianna Salzmann - Maxim... "Im Menschen muss alles...

"Im Menschen muss alles herrlich sein" von Sasha Marianna Salzmann - Maxim Gorki Theater Berlin

Premiere am 27/Oktober 2023, 19:00, Bühne

Der Roman Im Menschen muss alles herrlich sein von Sasha Marianna Salzmann erzählt vom Zerfall eines politischen Systems, von gesellschaftlichen Umbruchzeiten und deren Auswirkungen auf die Lebenswege von den zwei Freundinnen Lena und Tatjana, die in den 90ern die Ukraine verließen und in Jena strandeten, und ihren Töchtern Edita und Nina – die auf je eigene Weise versuchen in der Gegenwart mit dem nahezu unbekannten Erbe ihrer Mütter, mit dem Zerfall des Kolosses Sowjetunion und seinen Nachwirkungen, umzugehen.

Copyright: Esra Rotthoff

Über unterschiedliche Umwege, durch Gespräche mit Verwandten, durch Bücher, durch die Arbeit, durch Recherchen im Internet erkennen die Töchter erst nach und nach, was ihre Mütter (und Großmütter) zu den Frauen gemacht hat, die sie heute sind – und stoßen dabei auf zahlreiche unbekannte Flecken, auf Schönes und Schreckliches, auf Vergessenes, auf Verdrängtes, auf Schweigen. »Das Land, in das sie hineingeboren wurden, ist schon amputiert, aber es schmerzt trotzdem noch. Sonst kann man wenig mit Sicherheit sagen.« Ist es noch möglich, fragt sich Nina, mit der eigenen Mutter nicht in der Vergangenheit zu sprechen oder in der Zukunft? Ihr in die Augen zu schauen nur im Jetzt? Sich nicht mehr vorwerfen, was war, oder beklagen, was niemals sein wird? Aber je näher sie herantreten, desto unschärfer scheint das Bild zu werden, desto mehr Fragen tauchen auf.

In der Reihe »Was mich bewegt« der NZZ, in der wichtige Stimmen der internationalen Literaturszene zu Wort kommen, schreibt Sasha Marianna Salzmann: »›Geheimnisse‹ nennt sich ein ukrainisches Spiel bei dem Kinder ein Loch in die Erde buddeln, alles Bunte hineinwerfen, was sie finden können – blühende Blumen, glänzende Steine, grelle Haargummis, schimmernde Puppenkleidung -, dann legen sie eine Glasscheibe über die Grube, bedecken sie mit Erde und laufen davon. Erst wenn sie sich unbeobachtet fühlen, kehren sie zurück, legen die Stelle wieder frei und betrachten durch das Glas ihre geheimen Schätze.«

Nach diesem Spiel hat eine der markantesten Stimmen der heutigen Ukraine, Oksana Sabuschko, ihren 2009 erschienenen Roman benannt: Museum der vergessenen Geheimnisse. Sabuschko führt dieses Spiel auf jene Zeit zurück, als die Bolschewiken die Macht in der Ukraine übernahmen und sich die Menschen gezwungen sahen, ihre Ikonen zu vergraben oder ihren Schmuck, eben alles, was ihnen teuer war. Als Sabuschko ein paar Jahre später gefragt wurde, ob es überhaupt sinnvoll sei, die lange verborgenen ukrainischen Geheimnisse auszugraben, antwortete sie, das sei die eigentliche Frage in der ukrainischen Gesellschaft seit der Unabhängigkeit des Landes. Immerhin lebten mindestens zwei Generationen mit dem Schweigen. Das Wesen eines Geheimnisses ist, dass man ahnungslos bleibt, wer sonst noch Bescheid weiß und worüber genau.

Auch ob man selbst die ganze Geschichte kennt und ob sie der Wahrheit entspricht, bleibt einem verborgen. Wenn es sich dabei, wie im Fall der Ukraine, um ein historisches Ereignis, um einen Genozid, handelt, dann ist das Geheimnis Teil einer kollektiven Erfahrung, die wie Lava unter einer Kruste des Schweigens fließt.« Der Roman Im Menschen muss alles herrlich sein lässt Raum für diese Geheimnisse – und findet eine Sprache, für die Fragen, die gestellt werden sollten.

Regisseur Sebastian Nübling und Autor*in Sasha Marianna Salzmann verbindet eine sehr lange Zusammenarbeit, er hat bereits am Maxim Gorki Theater Salzmanns ersten Roman Ausser sich uraufgeführt.

Im Rahmen des 6. Berliner Herbstsalon 2023 LOST – YOU GO SLAVIA
Von
Sasha Marianna Salzmann
Regie
Sebastian Nübling

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 18 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

PLÖTZLICH GIBT ES ZWEI KOBOLDE -- "Meister Eder und sein Pumuckl" mit der Jungen Württembergischen Landesbühne Esslingen in der Kelter Bietigheim

"Niemand muss an Kobolde glauben". Davon ist Meister Eder überzeugt. Julian Häuser und Philip Spreen schlüpfen virtuos in unterschiedliche Rollen. In der Bühnenfassung und Regie von Jan Müller (Bühne…

Von: ALEXANDER WALTHER

SONGS IN UNGEWÖHNLICHEM ARRANGEMENT -- Orchesterkonzert Jewish Pop im Schauspielhaus STUTTGART

In den vergangenen Jahren war "Jewish Jazz" der Schwerpunkt. Nun erkundet das 2005 gegründete Jewish Chamber Orchestra Munich unter der einfühlsamen Leitung von Daniel Grossmann die Popmusikgeschichte…

Von: ALEXANDER WALTHER

UNHEIMLICHE VERWANDLUNGEN -- "Der Untergang des Hauses Usher" mit dem Studiengang Figurentheater der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart im Wilhelma Theater Stuttgart

Sehr viele technische Tricks und faszinierende Einfälle besitzt diese gelungene Produktion des Studiengangs Figurentheater. In der suggestiven Regie von Stephanie Rinke können sich die gespenstischen…

Von: ALEXANDER WALTHER

AUS DEM DUNKEL INS LICHT -- Neue CD: Die Würth Philharmoniker und Thomas Hampson (Bariton) bei hänssler Classic

Das dritte Album der Würth Philharmoniker unter der Leitung ihres Chefdirigenten Claudio Vandelli präsentiert den berühmten US-amerikanischen Bariton Thomas Hampson. Die Würth Philharmoniker, die auf…

Von: ALEXANDER WALTHER

NORDISCHE KLANGFARBEN -- Neue CD "Northern Colours" mit Felix Klieser (Horn) bei Berlin Classics erschienen

Im Zentrum des neuen Albums von Felix Klieser (Horn) steht das inspirierende Werk "Soundscape - A Walk in Colours" op. 118 von Rolf Martinsson, der 1956 in Schweden geboren wurde. Der Komponist hat…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑
StartseiteBeiträgeKritikenHintergründeTheatermacherServiceFachbegriffeSuche