In Zusammenarbeit mit Francesca Sgariboldi ist ein faszinierendes Bühnenbild entstanden, das von großen architektonischen Elementen beherrscht wird. Der Himmel scheint tatsächlich umarmt zu werden. Hier steht die Arbeit mit gegensätzlichen Polen und die Gratwanderung zwischen ihnen im Zentrum des tänzerischen Geschehens. Vittoria Girelli gibt den Ambivalenzen der menschlichen Stimme eine Seele. Konträre Atmosphären prägen die Weltsicht. Vittoria Girelli sagt selbst, dass sie der flämische Künstler Hieronymus Bosch stark inspiriert hat. Wie in seinen Gemälden sei sie auch in ihrer Choreographie daran interessiert, die ungewollte Metamorphose zu beleuchten. Schönheit und Dunkelheit spielen bei ihrer Arbeit ebenfalls eine entscheidende Rolle. Unterlegt wird diese facettenreiche Performance mit Edward Elgars Serenade in e-Moll für Streicher op. 20, wo Einflüsse von Wagner und Liszt neben neoklassizististischen Effekten hervorstechen.
Fast noch stärker wirkt Frederic Chopins Nachtstück Nr. 20 in cis-Moll, wo ruhig fließende Begleitfiguren von den Tänzen aufgegriffen werden. Samantha Lynch tanzt eigentlich als Erste Solistin beim Norwegischen Nationalballett. In ihrer suggestiven Arbeit "Where does the time go?" spielt sie in virtuoser Weise mit einem Tisch, der immer kleiner wird. Dabei wird die "Zeit" repräsentiert. Auch ihre Schwangerschaft setzt Samantha Lynch ganz bewusst ein. Sie will in diesem Stück damit spielen, was es bedeutet, Mensch zu sein. Das Werk enthält verschiedene versteckte Geschichten, die auch den sozialen Umgang berücksichtigen. Die Songs von Ray Charles ("Hallelujah", "I love Her So"),Thurston Harris, Chuck Rio ("Tequila") und Nina Simone (Song von Sandy Denny) spielen hier eine besondere, bewegende Rolle. Und der australische Komponist Luke Howard hat einen Soundtrack geschaffen, der den Tanz in subtiler Weise begleitet (Kostüme: Bregje van Balen).
"Was zeichnet uns als soziale Wesen aus?" stellt Samantha Lynch als Frage ins Zentrum ihrer Arbeit. "Averno" von Morgann Runacre-Temple mit der subtilen Musik von Mikael Karlsson (Bühne und Kostüme: Sami Fendall) spielt auf einen Kratersee in der Nähe von Neapel an. Hier wartet eine Schlange vor einer Telefonzelle. Doch das Telefon klingelt nicht. Beim Warten bildet sich dann eine Art Gemeinschaft. Der Persephone-Mythos wird dabei neu erzählt. Der Winter ist hier die Rache einer verzweifelten Mutter an der Erde. Sie wartet auf die Rückkehr ihrer Tochter Persephone, die von Hades, dem Gott der Toten, entführt wurde. Die Trennung vom Stamm und von der Gruppe wird in diesem Stück in tänzerisch überaus aufregender Weise erzählt. Ein Auto ist ebenfalls auf der Bühne zu sehen und stellt eine Verbindung zu einer dunkleren Seite der Menschheit dar. Es ist für Morgann Runacre-Temple der Eingang zu einer anderen Welt. Und dieser Eingang erschließt sich hier auch mit raffiniert eingesetzter Videotechnik.
Musik und Kostüme zeigen viel Sinn für hyperrealen Realismus. Theatralik und Surrealismus gehen nahtlos ineinander über. Als Persephone begeistert dabei Mackenzie Brown, Hades wird von Matteo Miccini ebenfalls eindrucksvoll verkörpert. Auch Mütter und Erdöl spalten sich in verschiedene Tanzensembles auf. Der Kampf des Individuums gegen eine unbarmherzige Zivilisation nimmt in packender Weise Gestalt an.
Jubel, tosender Schlussapplaus.