Der Cantus-firmus-Charakter der Bachschen Kompositionen blitzte immer wieder auf und es machten sich außerdem facettenreiche Clusterbildungen bemerkbar. In einer kontrapunktisch reichen Bearbeitung für Saxofonquartett von Aigars Raumanis überzeugte der Canon a 4 Voci perpetuus BWV 1073 von Johann Sebastian Bach. Dabei fielen auch die nuancenreichen dynamischen Kontraste auf. Das Riga Saxophone Quartet mit Aigars Raumanis, Oskars Petrausks, Ainars Sablovskis und Rudolfs Rubenis gestaltete die Kantilenen ausdrucksstark.
Von Sven-David Sandström und Henry Purcell interpretierte der Lettische Rundfunkchor dann wunderbar ebenmäßig und klangschön die Weise "Hear my prayer, o Lord" (1986, Bearbeitung für Saxofonquartett und Bariton). Modal gefärbte, weiträumige Harmonik wechselte sich hier mit feinsinnig gestalteten Klangabstufungen ab. Die Sprachmelodie entwickelte sich wie von selbst. Reizvolle Wechsel der Tempi und Satztechniken stachen auch bei Henry Purcells Fantazia upon one note aus dem Jahre 1681 deutlich hervor. Immer wieder überraschte der Lettische Rundfunkchor aufgrund seiner ausserordentlichen gesanglichen Intensität und Ausdruckskraft.
Dies machte sich auch bei Arvo Pärts sieben Magnificat-Antiphonen für Chor a cappella (1988/91) bemerkbar, wo der Lettische Rundfunkchor die harmonische Durchsichtkeit großartig gestaltete. Selten hört man chromatische Abstufungen mit einer solch sphärenhaften Leichtigkeit. "On the dignity of man" für gemischten Chor und Saxofonquartett (2004/05) nach einem Text von Giovanni Pico della Mirandola von Bernd Franke erinnerte in der konzentrierten Interpretation durch den Lettischen Rundfunkchor an die Kompositionen von Krzysztof Penderecki. Aber auch Einflüsse von Witold Lutoslawski, John Cage und Morton Feldman machten sich bemerkbar. In länger klingende Tonblöcke mischten sich kurze, splittrige Tonfolgen, wobei die räumliche Verteilung bei dieser präzisen Wiedergabe eine starke Intensität besaß. Scharfgezackte deklamatorische Linien und feinste Nuancierungen zwischen Singen und Sprechen wurden durch "Tontrauben" (Clusters) ergänzt, die sich immer mehr verdichteten. Melismatische und knappe ariose Passagen vermittelten den Eindruck konzentrierten Singens in unterschiedlichsten Stimmlagen.
Zum Abschluss begeisterte die bewegende Interpretation der Cantate "Figure humaine" ("Das menschliche Anlitz") sur un texte de Paul Eluard pour double choeur mixte a six voix aus dem Jahre 1945 von Francis Poulenc. Am Tag der endgültigen Befreiung von Paris in Zeiten der Resistance 1944 hängte Poulenc das Werk zusammen mit der französischen Flagge aus dem Fenster. Der Lettische Rundfunchor unterstrich sehr stark den bekenntnishaften Charakter dieses Meisterwerks, dessen formklare Strukturen auch der Dirigent Sigvards Klava unterstrich. Neben der gesteigerten Chromatik zeigten sich immer wieder auch reizvolle Anklänge an Strawinsky sowie impressionistische Farbigkeit.
Tiefgründige und verinnerlichte Passagen hinterließen hier einen prägnanten Eindruck. Als Zugabe sang der Lettische Rundfunkchor noch "Gebet für die Ukraine" mit einer berührenden Durchsichtigkeit. Begeisterter Schlussapplaus.