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DAS KLAVIER MACHT SICH SELBSTÄNDIG - "Zeit wie im Fieber" von Björn SC Deigner im Kammertheater StuttgartDAS KLAVIER MACHT SICH SELBSTÄNDIG - "Zeit wie im Fieber" von Björn SC...DAS KLAVIER MACHT SICH...

DAS KLAVIER MACHT SICH SELBSTÄNDIG - "Zeit wie im Fieber" von Björn SC Deigner im Kammertheater Stuttgart

Premiere Sa – 11. Nov 23, 20:00

Über diesem Stück steht gleichsam als Motto ein Satz von Hannah Arendt: "Tief aber und radikal ist immer nur das Gute". Für seinen vielschichtigen Text hat der Autor Björn SC Deigner Motive und Figuren von Georg Büchners Arbeiten verwendet, der als Revolutionär schlechthin gilt. In Regie und Bühne von Zino Wey (Kostüme: Pascale Martin) und der Musik von Lukas Huber nimmt ein Klavier eine zentrale Rolle ein. Es spielt nämlich von alleine. Dabei erklingt Musik von Beethoven, Chopin oder Gluck, die Partituren liegen plötzlich auf den Tasten.

 

Copyright: Björn Klein

Die Losung "Friede den Hütten, Krieg den Palästen!" ist hier überall präsent. Lena und Julie sitzen im Kessel fest und versuchen, auf den Hang zu gelangen, wo der Blick weit und die Luft frisch ist. Auf ihrem Weg dorthin begegnen ihnen ein furchterregender König, ein eifriger Bäcker und eine seltsame "Ärztlerin", die mit ihren Gedanken zur Entfaltung des Menschen immer wieder auftaucht. Dabei kommt es dann auch zu einer Begegnung mit einem Text von Rudi Dutschke: "Eine revolutionsreife Wirklichkeit fällt nicht vom Himmel". Ulrike Meinhof wird ebenfalls zitiert.

 Die beiden Frauen wollen ihre Unzufriedenheit mit der Realität nicht mehr hinnehmen. Sylvana Krappatsch als Lena und Paula Skorupa als Julie haben die Absicht, ihre Situation zu verändern. Sie machen sich voller Mut gemeinsam auf den Weg. Paula Skorupa als Julie nimmt einen Kampf mit dem Klavier auf, das einfach nicht aufhört zu spielen. Dabei erscheinen ihnen immer wieder fast surrealistische Figuren, unterschiedliche Weltbilder und Lebensmodelle, die Lena und Julie mit ihren Hoffnungen und ihrem Scheitern konfrontieren. Das gelingt in der insgesamt recht dichten Inszenierung trotz manchen Abstrichen überzeugend.

Lena liest aufgebracht: "Geht einmal nach Darmstadt und seht, wie die Herren sich für euer Geld dort lustig machen. Und dann erzählt euern hungernden Weibern und Kindern, dass ihr Brot an fremden Bäuchen herrlich angeschlagen sei." Neben einer wütenden Bürgerin erscheint sogar als besondere Attraktion ein talentiertes Pferd, das zur Revolution aufruft. Dabei kommt der Humor nicht zu kurz. Zunächst scheinen sich die Protagonisten ihrer Bequemlichkeit hinzugeben, um dann eine Bewegung in Gang zu setzen, die plötzlich alle ergreift. Die "Ärztlerin" spaltet sich in drei Personen auf, die virtuos von Gabriele Hintermaier, Marco Massafra und David Müller gemimt werden. Auch der aufgebrachte König und der Bäcker werden ebenfalls von diesem fulminanten Trio dargestellt.  Lena und Julie begegnen hier verschiedenen Figuren, die allesamt aus dem Büchner-Arsenal stammen: "Wir müssem den Kopf doch zusammennehmen und auf die Missstände schauen, die unter den Dingen sich verstecken".

Das sie umgebende Personal ist deutlich lauter und viel grotesker. In diesem "Büchner-Schrapnell" werden Texte zitiert, die für Unruhe gesorgt haben. Der Begriff der "Revolution" hat hier allerdings viel von seinen romantischen Aspekten eingebüßt. Lena sagt zu Beginn: "Wir dürfen uns den Vereinfachungen nicht hingeben. - Die Welt besteht aus Ungradheit und Brüchen, es endet nie, es hört nie auf". Und Julie meint, dass die Gedanken immer weiter gehen. Und auch die Julie aus "Dantons Tod" von Büchner kommt zu Wort. In weiteren Rollen überzeugen noch David Müller, Marco Massafra als "wutige Bürgerin" und Gabriele Hintermaier als "die Betz". Harald Schmidt spricht die Stimme aus dem Off.

Die geballte Wucht der Prosa-Sprache und die vorwärtsdrängende dramatische Dynamik Georg Büchners kann man allerdings nur erahnen. Hinzu kommt eine nahezu nihilistisch skeptische Lebens- und Kunstauffassung, wobei es dem Autor Björn SC Deigner stellenweise gelingt, die ungeheure  soziale Sprengkraft in fesselnder Weise einzufangen. "Friede den Hütten, Krieg den Palästen!" wirkt als Büchners Slogan hier allerdings zuweilen eher harmlos. Es gibt zu viele Slapstick-Szenen. Die witzigen Pointen des Textes blitzen aber hervor. Und Lena meint: "Wir können die Welt zu einer Hölle machen, wir sind auf dem besten Weg dazu".

Der Lebensekel vor der im Automatismus erstarrten Welt bricht hervor. "Alles hat sich verändert, verändert sich nicht / Tränen in den Häusern, im Garten Gischt", heißt es im Epilog. So folgt ein eher melancholisches Ende zwischen Pflanzen-Attrappen und Nebelbänken. Zuletzt stellt sich die Frage, wie Revolution heute aussehen kann und ob man die Verhältnisse überhaupt noch ändern will: "Der Adel ist Geldadel jetzt und die Welt noch immer die gleiche..." Viel Applaus, "Bravo"-Rufe. Überdimensionale Brezeln wecken weitere Assoziationen zu Stuttgart.

 

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