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VERWIRRSPIEL IM HOTEL - Mozarts "Don Giovanni" in der Staatsoper Stuttgart

30. Mai 2023

Andrea Moses inszeniert Mozarts Meisterwerk in einem Hotel als Labyrinth gegenseitiger Täuschungen und Enttäuschungen. Auch hier eilt Don Giovanni als unwiderstehlicher Verführer von einer Eroberung zur nächsten. Die Frauen werden schnell gewonnen. Sie werden jedoch zu bösen Furien, wenn sie ihn nicht halten können. Don Giovanni wird in dieser subtilen Inzenierung auf jeden Fall zur Projektionsfläche der auf ihn fixierten Frauen. Doch dann ist er schließlich selbst ein Opfer seiner verhängnisvollen Fähigkeiten und Eigenschaften.

 

Copyright: Martin Sigmund

Er nutzt das Wunschdenken anderer Menschen in fataler Weise für sich und geht daran zugrunde. Außerdem gibt es bei der in unserer modernen Welt spielenden Inszenierung von Andrea Moses (Bühne und Kostüme: Christian Wiehle) immer wieder unheimliche Assoziationen zur grausamen Welt des Marquis de Sade ("Justine oder vom Missgeschick der Tugend"). Aber auch der virtuose und geniale Verführer Casanova wird im Programmheft ausdrücklich erwähnt.

Unheimliche Größe gewinnt diese durchaus packende Aufführung durch den gespenstischen Auftritt des Komturs, der durch eine Glastür des Hotels tritt und als lebende Leiche auf dem Sarg steht. Da laufen dem Zuschauer dann plötzlich Schauer über den Rücken und man denkt unwillkürlich an E.T.A. Hoffmanns berühmte Erzählung "Don Juan". Man vergisst dabei auch die eine oder andere szenische Schwäche. Don Giovanni meint "Wer ich bin, erfährst du nie" ("Chi son io tu non saprai") - doch hinsichtlich des Komturs irrt er sich gewaltig. Der von ihm Ermordete weiß genau, wer Don Giovanni ist, ergreift seine Hand, lässt sie nicht mehr los. Im Hintergrund erscheint drohend der Chor mit Schlagstöcken, zwingt den Schwerenöter in die Knie, der sich schließlich selbst mit der Pistole in den Mund schießt. "Dies ist das Ende dessen, der Böses tut, und der Tod der Falschen ist ihrem Lebenswandel immer angemessen", kommentieren zuletzt Donna Anna, Don Ottavio, Donna Elvira, Zerlina, Masetto und Leporello das bizarre Geschehen.

Menschen in Hotels werden hier suggestiv unter die Lupe genommen. Das Verwirrspiel der fatalen Täuschungen spielt dabei in verschiedenen Zimmern, deren Türen sich immer wieder in geheimnisvoller Weise öffnen. Und die Klagen von Donna Elvira und Zerlina sind auch hier wirklich herzzerreissend. Zudem sieht man einzelne Personen durch das Publikum laufen, es existiert also eine gewisse Doppelbödigkeit mit "Theater im Theater". Unter der zupackenden Leitung der Dirigentin Yi-Chen Lin gewinnt das musikalische Geschehen im Laufe dieses Abends immer mehr an Fahrt. Der Charakter des "Dramma giocoso" (heiteres Drama) blitzt oftmals in rasanter Weise auf. Tragik, Burleske und Humor gehen nahtlos ineinander über. Allerdings würde man sich manchmal etwas mehr Nähe zu Übersinnlichem wünschen - eine Tatsache, von der Mozarts Oper eben auch lebt. Doch die menschliche Seele wird bei Andrea Moses in eindrucksvoller Weise seziert. So gewinnen das Duett "Reich mir die Hand", die Champagnerarie oder Don Giovannis Ständchen "Horch auf den Klang der Zither" immer mehr Intensität und Zauberkraft.

Yi-Chen Lin spornt die Musiker zu immer neuen Höchstleistungen an, was sich vor allem am Ende bemerkbar macht. Selbst das Bühnenorchester brilliert in virtuoser Weise. Gesangliche Deklamation und melodischer Zauber kommen vor allem bei den mit Emphase und Glut agierenden Sängerinnen und Sängern keineswegs zu kurz. Eleomar Cuello kann als dekadenter Don Giovanni mit kernigem Bariton überzeugen. Sarah-Jane Brandon (Sopran) gibt der unglücklichen Donna Anna glaubwürdige Kontur, während Kai Kluge (Tenor) als deren Verlobter Don Ottavio emotional auftritt.  Grandios und dämonisch zugleich ist Adam Palka (Bass) als Komtur, während Michael Nagl (Bass) als Don Giovannis Diener Leporello Witz und Ironie nie vermissen lässt. Überragend wie immer ist Diana Haller als furiose Donna Elvira, deren Stimme einen großen klangfarblichen Reichtum besitzt. Sie ist die einzige, die Don Giovanni bis zuletzt nicht aufgeben und vor der Vernichtung retten will. Und Andrea Moses inzeniert hier ihre tiefste Kränkung im Finale eindringlich und bewegend. Shannon Keegan (Sopran) macht plastisch und in wunderbarer Weise deutlich, dass die eigentliche Versöhnung in dieser Oper in Zerlinas C-Dur-Arie "Vedrai carino" liegt.  Andrew Bogard (Bass)  kann ferner  als wandlungsfähiger Bauer Masetto fesseln.

Die leidvollen chromatischen Gänge von Bläsern und Streichern arbeitet Yi-Chen Lin mit dem Staatsorchester Stuttgart in akribischer Weise heraus. Der sich chromatisch aufschwingende Gang im Orchester begleitet Elviras melodisch ausdrucksvollen Gesang facettenreich. Und auch das Ostinato-Motiv wird in seiner unheimlichen Erweiterung um einen Komplex aus sieben Takten von der Dirigentin voll erfasst. Zentrale Bedeutung besitzt bei dieser glutvollen Interpretation auch Don Giovannis Entlarvung im Quartett. Diana Haller beschwört in hervorragender Weise den anklagenden Gestus bei "Te vuol tradir ancor". Sie betont das hohe Pathos nie übertrieben. Und Sarah-Jane Brandon lässt die folgende Szene der Donna Anna aus dem B-Dur-Dreiklang der Bässe in fast betörender Weise herauswachsen. Vor allem die Zusammenhänge zwischen den Personen untereinander stechen hier hervor.

Das ist auch eine klare Stärke dieser Inszenierung. Masettos Ahnungen treten im Duettino "La ci  darem la mano" deutlich hervor. Zwischen Zerlina und Don Giovanni herrscht ebenfalls vorübergehend Einigkeit - und die A-Dur-Seligkeit der Liebesduette und Terzette besitzt  bei der Aufführung glanzvolle Leuchtkraft. Und selbst das karnevaleske Element im Terzett des zweiten Aktes kommt nicht zu kurz. Die grausame Verführungsszene um Donna Elvira lässt zuweilen sogar an Shakespeares "König Richard III." denken. Shannon Keegan stellt das labile chromatische Motiv von Zerlinas Passage "non son piu forte" deutlich heraus.

Schon in der Ouvertüre ragen die bedrohlich überhängenden Bässe hervor, was sich im weiteren Teil der Aufführung noch verstärkt. Der fundamentale Quartintervall wird zum Ereignis, so setzt sich der chromatische Quartfall der Bässe in gespenstischer Weise in Gang. Zuweilen könnte der punktierte Rhythmus noch unerbittlicher sein, doch die umsichtige Dirigentin Yi-Chen Lin verliert die Struktur des Werkes nie aus dem Blick. Und auch der Staatsopernchor unter der Leitung von Bernhard Moncado bietet eine ausgezeichnete Leistung. Am Ende Jubel, Begeisterung.  
 

 

 

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