Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
ENTWICKLUNG ZUR HUMANITÄT - Gastspiel "Der erste Mensch" nach Albert Camus mit Joachim Krol im Schauspielhaus STUTTGARTENTWICKLUNG ZUR HUMANITÄT - Gastspiel "Der erste Mensch" nach Albert Camus...ENTWICKLUNG ZUR...

ENTWICKLUNG ZUR HUMANITÄT - Gastspiel "Der erste Mensch" nach Albert Camus mit Joachim Krol im Schauspielhaus STUTTGART

am 26.11.2023

Der Schauspieler Joachim Krol rezitiert bei diesem besonderen Gastspiel Passagen aus dem Roman "Der erste Mensch" des französisch-algerischen Literaturnobelpreisträgers Albert Camus, der am 4. Januar 1960 bei einem Autounfall ums Leben kam. Das Buch ist nicht fertig, das letzte Kapitel fehlt. Die Lesung von Joachim Krol ist auch deswegen so berührend, weil die orientalisch geprägte Musik von Christoph Dangelmaier mit dem L'Orchestre du Soleil hier eine überragende Rolle spielt.

 

Copyright: Stefan Nimmesgern: Joachim Król

Camus wird 1913 in Algerien geboren und stirbt 1960 auf dem Weg nach Paris. Er ist in ärmlichen Verhältnissen unter Analphabeten groß geworden. Die zehn Lieblingswörter des Autors sind "Welt, Schmerz, Erde, Mutter, Menschen, Wüste, Ehre, Elend, Sommer, Meer". Die Kinder von Albert Camus leben in der Pariser Wohnung und in dem großen Dorfhaus in Lourmarin. Jean Camus und Catherine Camus sind von ihrem Vater stark geprägt worden. Joachim Krol gestaltet seine sehr musikalische Lesung behutsam. "Der erste Mensch" beginnt mit der Geburt des kleinen Jacques. Erzählt wird von einem Krippenspiel, es erscheinen Menschen ohne Namen und Gesichter. Einzig die Mutter und die Großmutter werden von Camus sehr genau und manchmal auch liebevoll beschrieben.

Die Kapitel sind allesamt subtile Berichte  des vierzigjährigen Jacques.  Er reist auf einem Schiff zu seiner Mutter und erinnert sich an den Glanz der Armut oder ein Fußballspiel. Die Aufnahme ins Gymnasium habe ihn der "unschuldigen Welt entrissen", ihn in eine "unbekannte Welt geworfen". Das Buch ist absurd erzählt, wirkt aber stellenweise auch durchaus philosophisch und humorvoll. Joachim Krol unterstreicht das immer wieder eindrucksvoll. Der Lehrer von Camus wird von diesem geradezu liebevoll beschrieben: "In Monsieur Germains Klasse nährte die Schule in uns einen Hunger, der für das Kind noch wesentlicher ist als für den Mann: den Hunger nach Entdeckung. Auch in den anderen Klassen lehrte man uns vieles, aber so, wie man Gänse mästet.  Bei Monsieur Germain fühlten wir zum ersten Mal, dass wir existierten und Gegenstand höchster Achtung waren: Man hielt uns für würdig, die Welt zu entdecken."

Armut, natürliche  Lebensfreude und Schönheit stehen hier dicht und eindringlich nebeneinander. Es wird sogar Film-Material aus der "Tagesschau" vom Oktober und Dezember  1957 gezeigt, wo die Literaturnobelpreisverleihung an Albert Camus zu sehen ist. So wird die Person von Albert Camus an diesem Abend plastisch greifbar. Auch das Leben ohne Vater ist bei Camus ein großes Thema. "Die unglaubliche Geschichte einer Kindheit" ist nicht vollendet worden, manches hätte Camus vielleicht gestrichen und manches ergänzt (so die "ZEIT"-Redakteurin Iris Radisch). Am Ende kommt der Protagonist Jacques Cormery alias Albert Camus wieder an den Anfang zurück. Denn er hat seinen Vater gesucht und hat dann den Sohn gefunden.

Es ist außerdem die bewegende Geschichte einer Entwicklung zur Humanität, bei der Politik und Geschichte eigentlich keine Rolle spielen. Die Musik unterstreicht hier passend die Diktion des emotional agierenden Schauspielers in der subtilen Regie von Martin Mühleis. Samir Mansour (Oud), Marius Bornmann (Percussion), Ekkehard Rössle (Saxophon, Klarinette) sowie Maria Reiter und Friedrich Bassarak (Akkordeon) finden zu eindringlichen dynamischen Steigerungen und auch melodischen Passagen, die sich dem Text gut anpassen.

Die Wiederbegegnung mit seinem alten Lehrer Louis Germain schildert Albert Camus ergreifend, sie endet in einer Umarmung. Klar wird jedenfalls, dass hier ein einziger Mensch darüber entschieden hat, ob ein Kind die Chance erhält, seine Begabung zu leben oder nicht. Germain hat die Familie von Camus besucht, mit Mutter und Großmutter gesprochen und so die Tür für die weitere Karriere des Sohnes weit aufgestoßen. Dies schildert Albert Camus mit deutlichen Worten - ohne jede falsche Übertreibung. Plastisch beschreibt er die Faszination des Fußballspiels oder die Jagd mit Hunden. Der Hunger nach der Entdeckung des Lebens ist unstillbar.

Begeisterter Schlussapplaus des Publikums.
 

 

Camus wird 1913 in Algerien geboren und stirbt 1960 auf dem Weg nach Paris. Er ist in ärmlichen Verhältnissen unter Analphabeten groß geworden. Die zehn Lieblingswörter des Autors sind "Welt, Schmerz, Erde, Mutter, Menschen, Wüste, Ehre, Elend, Sommer, Meer". Die Kinder von Albert Camus leben in der Pariser Wohnung und in dem großen Dorfhaus in Lourmarin. Jean Camus und Catherine Camus sind von ihrem Vater stark geprägt worden. Joachim Krol gestaltet seine sehr musikalische Lesung behutsam. "Der erste Mensch" beginnt mit der Geburt des kleinen Jacques. Erzählt wird von einem Krippenspiel, es erscheinen Menschen ohne Namen und Gesichter. Einzig die Mutter und die Großmutter werden von Camus sehr genau und manchmal auch liebevoll beschrieben.

Die Kapitel sind allesamt subtile Berichte  des vierzigjährigen Jacques.  Er reist auf einem Schiff zu seiner Mutter und erinnert sich an den Glanz der Armut oder ein Fußballspiel. Die Aufnahme ins Gymnasium habe ihn der "unschuldigen Welt entrissen", ihn in eine "unbekannte Welt geworfen". Das Buch ist absurd erzählt, wirkt aber stellenweise auch durchaus philosophisch und humorvoll. Joachim Krol unterstreicht das immer wieder eindrucksvoll. Der Lehrer von Camus wird von diesem geradezu liebevoll beschrieben: "In Monsieur Germains Klasse nährte die Schule in uns einen Hunger, der für das Kind noch wesentlicher ist als für den Mann: den Hunger nach Entdeckung. Auch in den anderen Klassen lehrte man uns vieles, aber so, wie man Gänse mästet.  Bei Monsieur Germain fühlten wir zum ersten Mal, dass wir existierten und Gegenstand höchster Achtung waren: Man hielt uns für würdig, die Welt zu entdecken."

Armut, natürliche  Lebensfreude und Schönheit stehen hier dicht und eindringlich nebeneinander. Es wird sogar Film-Material aus der "Tagesschau" vom Oktober und Dezember  1957 gezeigt, wo die Literaturnobelpreisverleihung an Albert Camus zu sehen ist. So wird die Person von Albert Camus an diesem Abend plastisch greifbar. Auch das Leben ohne Vater ist bei Camus ein großes Thema. "Die unglaubliche Geschichte einer Kindheit" ist nicht vollendet worden, manches hätte Camus vielleicht gestrichen und manches ergänzt (so die "ZEIT"-Redakteurin Iris Radisch). Am Ende kommt der Protagonist Jacques Cormery alias Albert Camus wieder an den Anfang zurück. Denn er hat seinen Vater gesucht und hat dann den Sohn gefunden.

Es ist außerdem die bewegende Geschichte einer Entwicklung zur Humanität, bei der Politik und Geschichte eigentlich keine Rolle spielen. Die Musik unterstreicht hier passend die Diktion des emotional agierenden Schauspielers in der subtilen Regie von Martin Mühleis. Samir Mansour (Oud), Marius Bornmann (Percussion), Ekkehard Rössle (Saxophon, Klarinette) sowie Maria Reiter und Friedrich Bassarak (Akkordeon) finden zu eindringlichen dynamischen Steigerungen und auch melodischen Passagen, die sich dem Text gut anpassen.

Die Wiederbegegnung mit seinem alten Lehrer Louis Germain schildert Albert Camus ergreifend, sie endet in einer Umarmung. Klar wird jedenfalls, dass hier ein einziger Mensch darüber entschieden hat, ob ein Kind die Chance erhält, seine Begabung zu leben oder nicht. Germain hat die Familie von Camus besucht, mit Mutter und Großmutter gesprochen und so die Tür für die weitere Karriere des Sohnes weit aufgestoßen. Dies schildert Albert Camus mit deutlichen Worten - ohne jede falsche Übertreibung. Plastisch beschreibt er die Faszination des Fußballspiels oder die Jagd mit Hunden. Der Hunger nach der Entdeckung des Lebens ist unstillbar.

Begeisterter Schlussapplaus des Publikums.
 

 

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 36 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

MIT RASANTEM SCHMISS -- Monrepos Open Air - Abschlusskonzert der Ludwigsburger Schlossfestspiele

Diesmal war nun endlich die lang erwartete mexikanische Dirigentin Alondra de la Parra zu Gast bei den Schlossfestspielen. Zunächst musizierte das exzellente Orchester des Goethe-Gymnasiums…

Von: ALEXANDER WALTHER

IM BAUCH DES RITTERS -- "Falstaff" von Giuseppe Verdi in der Blauen Halle - Mainfrankentheater Würzburg

In der einfallsreichen Inszenierung von Magdalena Fuchsberger (Bühnenbild und Kostüme: Monika Biegler, Video: Aron Kitzig) befindet sich die Handlung im Bauch des alternden Ritters Falstaff, der von…

Von: ALEXANDER WALTHER

LEIDENSCHAFTLICHE AUSBRÜCHE -- SWR Symphonieorchester mit Eva Ollikainen in der Liederhalle Stuttgart

Das "Märchenpoem" von Sofia Gubaidulina war eine echte Überraschung. Denn die finnische Dirigentin Eva Ollikainen arbeitete mit dem SWR Symphonieorchester die elektrisierend-durchsichtige Klangfläche…

Von: ALEXANDER WALTHER

WANDERER ZWISCHEN DEN WELTEN -- Galeriekonzert der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie in der Staatsgalerie STUTTGART

Unter dem Motto "Wanderer" fand diesmal das Galeriekonzert mit dem begnadeten Bass-Bariton Jochen Kupfer statt, der einfühlsam von Marcelo Amaral am Flügel begleitet wurde. Die Lieder von Franz…

Von: ALEXANDER WALTHER

DEM VOLKSTÜMLICHEN VERBUNDEN -- Zweiter Teil des Tschaikowsky-Zyklus' mit dem Staatsorchester Stuttgart in der Liederhalle/STUTTGART

Das Staatsorchester Stuttgart musizierte unter der elektrisierenden Leitung von Cornelius Meister im zweiten Teil des Tschaikowsky-Zyklus zunächst die selten zu hörende Sinfonie Nr. 2 in c-Moll aus…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑