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SPIEL ZWISCHEN LICHT UNDS SCHATTEN -- "Otello" von Giuseppe Verdi in der Staatsoper STUTTGARTSPIEL ZWISCHEN LICHT UNDS SCHATTEN -- "Otello" von Giuseppe Verdi in der...SPIEL ZWISCHEN LICHT...

SPIEL ZWISCHEN LICHT UNDS SCHATTEN -- "Otello" von Giuseppe Verdi in der Staatsoper STUTTGART

Premiere am 18.5.2025

Die Inszenierung von Silvia Costa integriert Videoeinlagen von John Akomfrah, wo die Otello-Tragödie in eindringlichen Bildern nachgezeichnet wird. Der erste Akt ist geprägt von einer Statue und einem Rad. Otello platzt immer wieder in eine bestehende Situation hinein, was die explosive Spannung anheizt. Die Figur des venezianischen Mohren brennt sich ins Gedächtnis. Das Rad könnte diese Skulptur zu Fall bringen - so jedenfalls die Idee der Inszenierung. Symbole werden dabei ganz bewusst verarbeitet, das gilt auch für das Ikonenhafte der Desdemona. Otellos Kostüm weist später auch den Räderabdruck auf.

 

Copyright: Martin Sigmund

Die Kostüme von Gesine Völlm bevorzugen die Schwarz-Weiß-Zeichnung. Desdemona bleibt passiv und naiv, ist den Launen des eifersüchtigen Otello schutzlos ausgeliefert. Desdemona ist hier auch nicht nur Heilige und Mutterfigur. Die Gegenstände sind in dieser Inszenierung dazu da, die Körper der Sänger zu skulpturieren. Die Licht- und Farbregie spielt hier virtuos mit Licht und Schatten, Helligkeit und Dunkelheit. Dies gelingt nicht immer gleich überzeugend. Es gibt auch Tänzer, die Otello und Desdemona in ihren Zweierszenen verdoppeln. Sie leben die unmögliche Umarmung aus, die den beiden verwehrt ist. Das Venezianische erhält ebenfalls eine recht starke Bedeutung, die Riten der katholischen Kirche werden vor allem bei den Chorszenen subtil herausgearbeitet. So sieht man viele schwarze Kreuze, die das spirituelle Geschehen prägen.

Die naturalistischen Momente  des Werkes spielen bei dieser Aufführung ebenfalls eine wichtige Rolle. Für die Trinkszene im ersten Akt wird sogar ein Brunnen eingefügt, weil die Regisseurin keine Betrunkenen auf der Bühne sehen will. Der Erdschlamm wird zu Lehm, aus dem Jago das Böse erschafft. Und das Feuer besitzt eine emotionale Verbindung, es steht für das Brennen in Otello. Der vierte Akt zeigt dann einen leeren Raum, wo  Desdemona und Otello ganz allein sind. Die Massenszenen bilden den Kontrast zu diesen Szenen. Auch bei der Ermordung Desdemonas zieht diese nur ein Tuch vors Gesicht, was Otello bei seinem Selbstmord kurze Zeit später ebenfalls tun wird. Diese Lösung hinterlässt allerdings szenisch einen eher schwachen Eindruck.

Bei den Ensembleszenen herrscht dagegen geradezu babylonische Verwirrung. Die Gerüchte wandern durch die Menge und sorgen für Chaos. Durch die Videoeinlagen wird eine Verbindung zur realen Welt hergestellt. Der Dialog zwischen Innen und Außen wird so intensiviert, was nicht immer gelingt. Im ersten Akt ist das Wasser bei der Sturmszene sehr real und präsent - und die ausgedehnte Trinkszene steht im Zentrum dieses Aktes. Im zweiten Akt spricht Jago bei seinem berühmten "Credo" vom Urschlamm. Auch bei der Willkommensszene von Desdemona dominiert die Erde. Im dritten Akt herrschen Wut, Eifersucht und Blut. Im vierten Akt weht der Wind durch die Zweige der Trauerweide, bevor Otello Desdemona gewaltsam die Luft zum Atmen nimmt. Dass Cassio angeblich eine Affäre mit Otellos Frau Desdemona hat, wird in der Inszenierung von Silvia Costa jedoch deutlich und in unterschiedlichen Facetten betont.

Musikalisch hinterlässt diese Premiere jedoch einen besseren Eindruck. Unter der einfühlsamen und temperamentvollen Leitung von Stefano Montanari musiziert das Staatsorchester Stuttgart sehr akribisch und bringt viele Details ans Licht. Die Idealform der durchkomponierten Oper gerät nicht aus dem Gleichgewicht. Dramatische und psychologische Verläufe wirken so lebendig. Der innere thematische Zusammenhalt geht nie verloren. Gerade der lyrisch betonte Schlussakt besitzt hier etwas ungemein Ergreifendes. Deklamation und Arioso verschmelzen auch in der reifen Darstellung der Sänger, wo insbesondere die Desdemona von Esther Dierkes in filigraner Größe hervorragt. Marco Berti als Otello kann die Charakterdämonie dieser Figur gut verdeutlichen - und auch in der Höhenlage besitzt seine Stimme emotionale Wucht. Das Liebesmotiv bei Otellos Liebestod kommt zuletzt in bewegender Weise zur Entfaltung, erfährt eine berührende Steigerung.  Das unauflösliche Ineinander von dramatisch gespannter Deklamation und intensiver, emotional verdichteter Kantilene sticht hier überall hervor. Die Übergänge gelingen auch bei den anderen Sängern fließend. So erhält der bedrängte Cassio von Sam Harris deutliches Profil, was ebenso für die aufgewühlte Emilia von Itzeli del Rosario gilt. Daniel Miroslaw kann als Jago die unheimlichen Aspekte seiner Partie packend nachzeichnen. In weiteren Rollen gefallen Kyung Won Yu als Herold, Goran Juric als Lodovico, Aleksander Myrling als Montano und Alberto Robert als Rodrigo. Der Staatsopernchor Stuttgart und der Kinderchor  (Leitung: Manuel Pujol und Bernhard Moncado) bieten eine famose und mitreissende Leistung. Zwei- und dreiteilige Symmetrieformen werden von Stefano Montanari mit emotionalem Gehalt und als scharf umrissenes Klangsymbol erfasst. Dies gilt insbesondere für das markant herausgearbeitete Triolenmotiv, mit dem der zweite Akt beginnt. Immer wieder erscheint es in verschiedenen Abwandlungen.

Die gebrochen absinkende Begleitfigur bei Desdemonas Zusammenbruch besitzt hier ebenfalls deutliche Zusammenhänge mit dem triolischen Grundgedanken. Der Farbreichtum der Partitur kommt bei dieser konzentrierten Interpretation jedenfalls nie zu kurz. Das gewaltige Drama der Leidenschaften wird mit einer fulminanten Gewitterszene eröffnet. Äusserste menschliche Bedrängnis schwankt dabei zwischen tonlosem Stammeln und furiosem Schrei. Der kurze Dialog zwischen Jago und Rodrigo legt hier in äusserster Konzentration die Wurzeln des Konfliktes bloß. Der Feuer-Chor besitzt knisternde und aufflackernde Orchestermotive. Die ungemein zupackende, schlagkräftige melodische Diktion von Jagos "Trinklied" wird von Daniel Miroslaw packend verdeutlicht. Die große Streitszene, die durch Jagos Trinklied angestachelt wird, besitzt bei dieser Aufführung etwas Leidenschaftliches. Es ist ein spannungsvolles Crescendo, das die Zuhörer stark mitreisst. Es bricht mit dem Auftritt Otellos abrupt ab.

Der Zwiegesang zwischen Otello und Desdemona gerät dann wirklich zu einer grandiosen Liebesszene. Die ungeheure Intensität des Erlebens tritt deutlich hervor! Und die unnachahmliche Feinheit des Aktschlusses wird in zartesten Orchesterfarben ausgemalt. Die beispiellose Konsequenz der dramatischen Entwicklung des zweiten Aktes tritt deutlich hervor. Auch die musikalische Gestaltung des "Credo" besitzt starke Eindringlichkeit. Jago weckt das Misstrauen Otellos mit einem schleichenden Unisono, das hier sehr wirkungsvoll erscheint. Das Eifersuchtsmotiv zeigt im dritten Akt seinen aufwühlenden Charakter. Und der lyrisch beginnende letzte Akt dringt dann ganz in die Tiefen des Seelischen vor. Nach Emilias Abgang folgen namenlose Angst und Entsetzen. Desdemonas "Ava Maria" beginnt in der ergreifenden Darstellung von Esther Dierkes zunächst psalmodierend und endet in einer zarten und schlichten Melodie. Und Otellos Auftritt erhält durch  Marco Berti eine beklemmende Grundierung.

Ovationen, viele "Bravo"-Rufe und auch vereinzelte "Buh"-Rufe für das Regie-Team (Bewegungs-Statisterie: Ayelet Polne, Leana Preißinger, Boris Bojic, Luciano Mazzo Martinez).
 

 

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