
Zaide und Gomatz sind Gefangene des Sultans Soliman. Beide nehmen allerdings eine Sonderstellung unter Solimans Sklaven ein. Gomatz ist Christ. Zaide dagegen hat das Privileg, dass der Sultan sie liebt, wie man im zweiten Akt erfährt: "Die Schlange, die sich so gegen die Liebe eines Sultans gewehrt hat!" Diese beiden - Zaide und Gomatz - verlieben sich ineinander und die einzige Möglichkeit, diese Liebe zu leben, besteht darin, zu fliehen. Das wird in der subtilen, mit modernen Mitteln spielenden Inszenierung plastisch deutlich. Der Sklave Allazim will den beiden helfen, wofür sich Gomatz in seiner zweiten Arie bedankt: "Herr und Freund, wie dank' ich dir!" Da gelingt die Flucht, doch der Sultan schickt den beiden Liebenden seine Wachen hinterher und alle drei werden festgenommen. Sie versuchen, das Herz des tobenden Sultans zu erweichen oder wollen lieber sterben, als weiter Sklaven zu sein. Ob sich der Sultan besänftigen lässt, bleibt offen.
Es werden dann verschiedene Szenarien durchgespielt, wie denn das Ende sein könnte. Die Unmittelbarkeit, die aus Mozarts Musik spricht, kommt deutlich zum Vorschein. Das gleiche gilt für die erstaunliche Entfaltung des Sinns dieser unvollendet gebliebenen Oper. Jessica Glause verwendet bei ihrer Inszenierung auch ein Originalprospekt des Theaters, ein fantastisches Wolkenbild, das in dem Moment auf die Bühne kommt, wenn sich Zaide und Gomatz wie im siebten Himmel fühlen. Diese Szene ist bei der Aufführung überhaupt am besten geglückt. Das ist wunderbares Regietheater! Der rumänische Dirigent Vlad Iftinca macht mit dem fulminant musizierenden Staatsorchester Stuttgart vor allem auch die Assoziationen zu Mozarts "Entführung aus dem Serail" deutlich. Das türkische Milieu wird immer wieder plastisch eingefangen. Steter dynamischer Wechsel in der Modulation erhöht hier den Zauber des Fremdartigen, Geheimnisvollen. Und die historische Bühnenmaschinerie des Schlosstheaters verstärkt diesen Eindruck.
So glüht Empfindungsfeuer in den Arien von Natasha Te Rupe Wilson als Zaide und Moritz Kallenberg als Gomatz hell auf. Torsten Hofmann bietet als Sultan Soliman dazu einen passenden dunklen Kontrast. Virtuosität blitzt hier immer wieder leuchtkräftig auf. Dies gilt auch für Andrew Bogard als Allazim. Die jugendliche Kraft dieser unvollendet gebliebenen Schöpfung sprudelt dabei in erfrischender Weise hervor. Mozarts suggestive Musik wird wiederholt mit Pop-Elementen und Hip-Hop-Passagen angereichert, was manchmal natürlich ungewöhnlich und nicht ganz unproblematisch ist. Wolfgang Amadeus Mozart wird so aber für die heutige Zeit und die heutige Jugend attraktiv gemacht.
Die direkte Verbindung von Wort und Musik triumphiert in den Melologen von Gomatz im ersten Akt und dem Sultan im zweiten Akt. Nur in Mozarts Schauspielmusik "Thamos" kommen diese Melologe nochmals vor. Hinzu kommen hier die Lieder der Selbstermächtigung, die Eva Jantschitsch für dieses Ensemble geschrieben hat. Diese Komponistin orientiert sich an Mozarts Melologen. Da heißt es dann: "Bin stiller Zeuge deiner Tränen, deiner Kämpfe, deiner Angst..." Hinzu kommt noch als Erzählkollektiv ein Chor, der manchmal die exotischen und orientalischen Momente verstärkt - wenn etwa die Gruppe mit einem hellblauen Tuch zugedeckt wird.
Der Zuhörer verliert in Mozarts Sinn sein Ich hier aber nur bedingt an das Kunstwerk, er wird immer wieder aus der Vergangenheit gerissen und in die unmittelbare Gegenwart hineingezwungen - ob er dies nun will oder nicht. Das ist die Problematik dieser Aufführung, die aber ansonsten durchaus gelungen ist, obwohl sie so unkonventionell erscheint. Die Unisono-Einsätze besitzen hier einen überaus lebendigen Charakter - und Vlad Iftinca lässt den Sängerinnen und Sängern immer wieder genügend Freiräume. Konzertante Momente im Orchester werden kontrapunktisch spürbar aufgelockert. So gab es zuletzt viel Schlussapplaus und "Bravo"-Rufe für das Ensemble!