
Von der ungeheuren Wirkungskraft dieses Werkes zeigte sich auch das Publikum im Beethovensaal sehr beeindruckt! Dass diese Sinfonie eigentlich eine zweiteilige Kantate ist, stellte der stets umsichtige Dirigent Cornelius Meister nicht zu stark heraus. Die erstaunliche melodische Einfallskraft dieser Komposition kam auch dank des vorzüglich musizierenden Staatsorchesters Stuttgart in bewegender Weise zum Vorschein. Der überdimensionale Klangapparat brachte dem Werk den mehrdeutigen Namen "Sinfonie der Tausend" ein, mit dem Mahler selbst gar nicht zufrieden war. Für den ersten Teil benutzte er den alten Pfingst-Hymnus ""Veni, creator spiritus" ("Komm, Schöpfer Geist"). Der zweite Teil stützt sich auf Goethes Worte - nämlich die Schlussszene des "Faust". Diese tiefsinnige, fast opernhafte Apotheose gelang Meister mit dem ausgezeichneten Staatsopernchor (Einstudierung: Manuel Pujol) und dem Kinderchor der Staatsoper Stuttgart (Einstudierung: Bernhard Moncado) wahrhaft ergreifend. Man kann nach dieser packenden Aufführung sogar sagen, dass es sich hier um die beste und gewaltigste Vertonung des Goethe-Stoffes handelt. Liebe wird laut Bekker als tätige Kraft dargestellt, als Mittlerin stufenweiser Erhebung und Läuterung zur Verklärung. Gerade das kosmische Klanggefühl stellte Meister in hervorragender Weise heraus.
Mahler selbst meinte, dass es sich hier um "Planeten und Sonnen" handeln würde, welche kreisen. Barocke Fugentechniken und gerade auch die übersteigerte Klangsprache Richard Wagners schimmerten deutlich durch. Nach der Uraufführung äusserte kein Geringerer als Thomas Mann, dass sich in Mahler "der ernsteste und heiligste künstlerische Wille unserer Zeit" verkörpern würde. Machtvoll groß und aufrauschend setzte der Doppelchor ein. Der zweite Hauptgedanke wurde von den Gesangssolisten virtuos ausgeführt. Ein kurzes Orchesterzwischenspiel griff das Thema facettenreich auf. Sehr gut gelang dann die kraftvolle dynamische Steigerung mit plötzlichem Abbruch. Dumpfe Paukenwirbel malten eine angstvolle Stimmung. Die gewaltige Steigerung des Mittelteils der Durchführung brauste dann wie ein Orkan dahin, der Staatsopernchor wuchs über sich selbst hinaus. Die Passage "Accende lumen" wuchs zum leuchtenden Höhepunkt heran. Die Stimmen vereinigten sich grandios, eilten in atemlosen Fugato-Sätzen vorwärts. Fortissimo-Jubel begleitete das majestätische Accende-Thema mit den Trompeten und Posaunen.
Nach diesem phänomenalen Klangrausch und dem Zauber der Doppelfuge unterstrich Cornelius Meister im zweiten Teil die wechselvollen Stimmungen der "Faust"-Vertonung. In den Pizzicato-Bässen tauchte plötzlich geheimnisvoll das Accende-Thema auf. Der Chor "Uns bleibt ein Erdenrest" unterstrich nach dem Scherzando des Engelschors "Jene Rosen" den sphärenhaften Geist des Werkes. Benjamin Bruns (Tenor) überzeugte als Doktor Marianus mit tragfähiger Höhenlage und leidenschaftlicher Emphase. Natasha Te Rupe Wilson (Sopran) erfüllte die Erscheinung der Mater gloriosa mit überirdischem Zauber. Von diesem Zauber wurden auch die anderen Gesangssolisten Ricarda Merbeth (Sopran I, Magna Peccatrix), Simone Schneider (Sopran II, Una Poenitentium), Tanja Ariane Baumgartner (Alt I, Mulier Samaritana), Maria Theresa Ullrich (Alt II, Maria Aegyptiaca), Johannes Kammler (Bariton, Pater ecstaticus) und David Steffens (Bass, Pater profundus) erfüllt. Das verschleierte Thema der Violinen wurde sehr schön herausgearbeitet. Die hellen Farben in Instrumenten und Harmonien betonte Meister passend. Das silbrige Tremolo der Celesta über den Trommelwirbeln prägte sich tief ein. Und der Einsatz des Chorus mysticus "Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis" wurde geradezu zu einer Sternstunde des Staatsopernchors!
Auch im Hintergrund des Konzertsaals waren Instrumente postiert, was die monumentale Begeisterung noch erhöhte. Thematische Verwandtschaften mit dem ersten Satz blitzten immer wieder geheimnisvoll hervor.
Zuletzt Riesenjubel und "Bravo"-Rufe im voll besetzten Beethoven-Saal.


















