Dies wird in faszinierenden Schattenspielen gezeigt, die das innere Seelenleben der Protagonisten sichtbar machen. Die Wucht der griechischen Tragödie soll mit einer feinen psychologischen Figurenzeichnung sichtbar gemacht werden. Überhöhung und Realismus stehen so dicht beieinander. Auf der Heimkehr aus Troja gerät König Idomeneo in Seenot. Er schwört dem Meergott Neptun, einen Menschen zu opfern, wenn er überleben sollte. In Kreta läuft ihm aber der eigene Sohn Idamante über den Weg, der die trojanische Kriegsgefangene Ilia liebt. Die mykenische Prinzessin Elettra gerät darüber in Rage. Sie meldet Anspruch auf den Königssohn an. Immer weiter schiebt Idomeneo das Opfer auf und stürzt Kreta in eine Krise. Schließlich wirft sich Ilia zwischen Vater und Sohn. Neptun macht deswegen den Generationenwechsel zur Bedingung dafür, dass Idomeneos Gelübde erlassen wird. Dieser übergibt seine Macht an das Brautpaar Ilia und Idamante, nur Elettra sucht das Verderben.
Dabei entstehen bei dieser Inszenierung im Bühnenbild von Peter Baur und den Kostümen von Jelena Miletic Bilder von magischer Kraft (Video: Sophie Lux). Meer und Sonne sind präsent - das aus der Tiefe aufsteigende Ungeheuer hinterlässt schauderhafte Eindrücke. Insgesamt gibt es stärkere und schwächere Szenen und Momente. An der Decke hängt ein Beil, was eigentlich darauf hindeutet, dass Idomeneo das Leben seines Sohnes ganz bewusst aufs Spiel setzt. Vergegenwärtigen des Unbewussten und psychologisches Tiefenspiel spielen bei dieser interessanten und fesselnden Inszenierung durchaus eine Rolle.
Auch musikalisch kann diese in sich stimmige Aufführung das Publikum überzeugen. Cornelius Meister dirigiert das Staatsorchester Stuttgart zupackend und einfühlsam zugleich, der Charakter der italienischen Opera seria tritt deutlich hervor. Bei der in Sonatenform gehaltenen Ouvertüre triumphieren hier bereits die elektrisierenden Momente. Lavinia Bini als Ilia und Diana Haller als Elettra meisseln die Gegensätze dieser Figuren sehr packend heraus. Und auch Jeremy Ovenden als Idomeneo sowie Anett Fritsch als Idamante zeigen in ihren Rollen starken Charakterisierungsreichtum. Das Es-Dur-Quartett im dritten Akt besitzt Feuer und Wucht. Die seelische und dramatische Situation passt dabei zur szenischen Entwicklung dieser Inszenierung.
Beim Schifferchor im zweiten Akt kann der strahlkräftige Staatsopernchor einmal mehr imponieren. Auch die dramatischen Chöre im ersten Akt mit dem Doppelchor beim Schiffbruch Idomeneos sowie im zweiten Akt beim Erscheinen des Seeungeheuers geraten dynamisch überwältigend. Dass das Drama hier ganz aus dem Geist der Musik geboren wird, machen auch die anderen Sänger deutlich. Charles Sy als Arbace, Eleazar Rodriguez als Oberpriester Neptuns sowie Aleksander Myrling als Stimme Neptuns fügen sich hier nahtlos in den klangfarbenreichen Reigen ein. Die Chorsoli von Anna Matyuschenko, Simone Jackel, Hee-Tae Kim und Ulrich Wand beschwören zuweilen sphärenhaften Stimmungszauber. Vlad Iftinca (Continuo Hammerklavier) sowie Guillaume Artus (Violoncello) begleiten die Gesangssolisten sensibel und ausdrucksvoll. Der Schlusschor "Corriamo, fuggiamo" (Allegro assai in d-Moll) gelingt dabei monumental und mitreissend. Hier entsteht das musikalische Bild einer in atemlos-hastiger Bewegung davonstürzenden und in panischer Furcht sich zerstreuenden Menge.
Auch das Staatsorchester unter Meister trägt diesem Vorgang Rechnung. Atemlose Bläserfiguren, von Angst geschütteltes Tremolo, jähes Unisono und ein Triolen-Sturm wecken die Lust an dieser überaus abwechslungsreichen Musik. Den von Katastrophen geprägten Ton trifft der Dirigent Cornelius Meister genau. Gewisse Assoziationen bestehen hier auch zu Glucks "Alceste". Die Vielseitigkeit der musikalischen Vorgänge findet ihre Entsprechung in den einfallsreichen szenischen Veränderungen auf der Bühne - und auch das halb hochgefahrene Orchester trägt zu den fast "überirdischen" Eindrücken bei. Neptun erscheint schließlich als Deus ex machina.
Der Beginn des "Idomeneo" mit seinem weitgespannten Accompagnato und der Akzentuierung des "opposti affetti"("widerstreitende Empfindungen") und "contrasto" ("innerer Kampf") glückt dem Ensemble bei dieser Aufführung vortrefflich. Der Seria-Gestus zeigt sich ferner deutlich beim Quintanruf "Grecia". Die von Pathos erfüllten Koloraturen der Gesangspartien werden aber nicht übertrieben. Dies gilt außerdem für Ilias dritte Arie "Zefiretti" sowie ihre Arie "Se il padre perdei". Die Dialogsituation wird immer wieder passend in den musikalischen Vorgang gelegt. Das c-Moll der Sturmszene besitzt etwas Unerbittliches, aber auch Grandioses. Es wird sinnvoll angeheizt durch die ausgezeichnete Diana Haller als Elettra, die das glühende Furioso ihrer gewaltigen Ausbrüche in C-Dur und F-Dur beschwörend zelebriert.
Vom Aufeinanderprallen heterogener Gestalten lebt diese Partitur, was Cornelius Meister mit dem Staatsorchester Stuttgart immer wieder in bewegender Weise deutlich macht. Die Dominanttonart mit dem Abbrechen im Quartsextakkord und der anschließenden schwerelosen Kadenz unterstreicht bei dieser Wiedergabe den überirdischen Klangzauber. Jubel, "Bravo"-Rufe und Ovationen für die Sänger.