
Das "Konzert für die linke Hand", ursprünglich ein Auftragswerk vom Pianisten Paul Wittgenstein, der im Ersten Weltkrieg seine rechte Hand verlor, bildet den Auftakt. Der Flügel steht auf der Bühne, große Projektionen von Schwarz-Weiß-Fotografien zeigen Bilder von einem Paris der 1930er Jahre. In Bridget Breiners Choreographie bahnen sich Mnemosyne, die Göttin der Erinnerung, und der Kriegsgott Ares ihren Weg durch eine Gruppe von Männern und Frauen. Neben weichen, schwebenden Episoden gibt es stürmisches einzelnes Vorwärtsdrängen, Zusammenfinden zum Pas de trois, einzelne lose Formationen und schließlich wieder ein Zusammenschließen. Angedeutet wird ein Leben voller Brüche und Ungewissheiten. Erinnerung an vergangene und zugleich Warnung an zukünftige Kriege und die damit einhergehenden Verwerfungen wird evoziert.
Ebenso sozialkritisch ist "La Valse" in der Choreographie von Richard Siegal, auch wenn es leichter und lustiger konzipiert ist. Es spielt in einem schicken Restaurant mit hölzerner Drehtür, Kronleuchtern und üppig gedecktem Tisch. Ravels Parodie auf den Wiener Walzer greift Siegal auch in seiner Choreographie auf, indem er Dekadenz und romantische Manier ironisiert. Ein einfacher Mann dringt in die feine Gesellschaft ein, man macht sich über ihn lustig. Die Rivalität zweier Männer, die um Aufmerksamkeit buhlen, ist vielleicht auch ein ironischer Verweis auf die Auseinandersetzung zwischen Sergei Djagilew, dem Direktor der Ballet russe, und Maurice Ravel um dieses Musikstück. Als Djagilew "La Valse" als "Porträt eines Balletts" bezeichnete, brüskierte ihn der erzürnte Ravel dermaßen, dass es zu einer Duellforderung kam. Das kleine Zitat aus Kurt Jooss' Stück "Der grüne Tisch" bringt Siegals "La Valse" wieder auf die politische Ebene zurück.
Schon im 18. Jahrhundert spielte die Schäferidylle eine große Rolle, regte den Adel zum Nachspiel an, stand sie doch im Widerspruch zum höfischen Zeremoniell und gewährte einen Augenblick Flucht aus gesellschaftlichen Zwängen. Auf dieses beliebte Thema greift Ravel zurück, für dessen "Daphnis et Chloé, Suiten" Longos antiker Liebesroman Pate stand. Bridget Breiner geht über die Ursprungsgeschichte hinaus und stellt hier eine Verbindung zu ihrer Choreographie "Konzert für die linke Hand", her, indem sie in beiden Stücken einen jungen Mann als Allegorie auftreten lässt, der etwas Universelles verkörpert. Ebenso greift sie die Kriegsthematik wieder auf, die sie mit der Hirten-Liebesgeschichte verknüpft. Die Masken, die bei ihr einen prominenten Platz haben, deuten auf das antike griechische Theater hin, vermitteln sowohl Einheit als auch Distanz.
Höhepunkt des Abends ist Ravels "Boléro" in der Choreographie von Richard Siegal. Dem Sog dieser Musik, die hier anfangs elektronisch in einer Bearbeitung von Lorenzo Bianchi Hoesch verstärkt wird, kann sich keiner entziehen. Die Trommel ist das prägnante Musikinstrument, die in ständiger Wiederholung den Marschtakt vorgibt. Die Tänzer*innen in Businesskostümen sind die ganze Zeit in Bewegung. Auf einem sich bewegenden Laufband, das die ganze Bühne einnimmt, präsentieren sie verschiedene Formen des Gehens: ein Schreiten, Überholen, Eindrängen, Paartanzen. Wer nicht Schritt hält, fällt hinten ins Dunkle, muss sich aufrappeln um wieder in den Fluss zu kommen. Das stürmische Ausschreiten scheint manchmal dennoch nicht von der Stelle zu kommen. Erinnerungen an sozialistische Aufmärsche werden erweckt. Arme werden in revolutionärer Pose hochgereckt.
Das Publikum dankt mit stürmischem Applaus für die Präsentation der vier sehr unterschiedlichen choreographischen Ansätze, die Ravels Musik neu interpretieren.
Musikalische Leitung: Christoph Stöcker/Katharina Müllner
Musik: Maurice Ravel
Sound: Lorenzo Bianchi Hoesch
Dramaturgische Betreuung: Julia Schinke
Konzert für die linke Hand
Uraufführung am 7. Juni 2025, Deutsche Oper am Rhein Theater Duisburg, Ballett am Rhein
Choreographie: Bridget Breiner
Musik: Maurice Ravel
Musikalische Einrichtung: Katharina Müllner
Bühne / Kostüm: Jean-Marc Puissant
Licht: Matthias Singer
Klavier: Alina Bercu
Junger Mann: Márcio Mota
Frau: Sophie Martin
Mann: Eric White
Mnemosyne: Simone Messmer/Chiara Scarrone
Ares: Gustavo Carvalho/Lucas Erni
Dukin Seo, Vinícius Vieira, Olgert Collaku, Joan Ivars Ribes, Damián Torío
La Valse
Uraufführung am 7. Juni 2025, Deutsche Oper am Rhein Theater Duisburg, Ballett am Rhein
Choreographie: Richard Siegal
Musik: Maurice Ravel
Bühne / Kostüme: Jean-Marc Puissant
Licht: Matthias Singer
Alejandro Azorín/Skyler Maxey-Wert, Orazio Di Bella, Niklas Jendrics, Yoav Bosidan/João Miranda, Nelson López Garlo, Emilia Peredo Aguirre, Ako Sago/Chiara Scarrone, Balkiya Zhanburchinova, Elisabeth Vincenti, Long Zou
Daphnis et Chloé, Suiten
Uraufführung am 7. Juni 2025, Deutsche Oper am Rhein Theater Duisburg, Ballett am Rhein
Choreographie: Bridget Breiner
Musik: Maurice Ravel
Arrangement: Eric Domenech
Bühne / Kostüm: Jean-Marc Puissant
Licht: Matthias Singer
Chorleitung: Patrick Francis Chestnut
Junge Frau: Nami Ito/Emilia Peredo Aguirre
Junger Mann: Skyler Maxey-Wert/Vinícius Vieira
Gaia: Clara Nougué-Cazenave
Uranos: Dukin Seo
Anteros: Joan Ivars Ribes
Ares: Orazio Di Bella/Lucas Erni
Echo: Camilla Agraso/Sara Giovanelli
Pan: Niklas Jendrics/Vinícius Vieira
Eros: Alejandro Azorín/Olgert Collaku
Aphrodite: Maria Luisa Castillo Yoshida/Balkiya Zhanburchinova
Dionysos: Damián Torío
Boléro
Uraufführung am 7. Juni 2025, Deutsche Oper am Rhein Theater Duisburg, Ballett am Rhein
Choreographie: Richard Siegal
Musik: Maurice Ravel
Musikalische Einrichtung: Katharina Müllner
Bühne: Richard Siegal
Kostüme: Jean-Marc Puissant
Licht: Matthias Singer
Yoav Bosidan, Orazio Di Bella, Niklas Jendrics, Nelson López Garlo, João Miranda, Milivoje Andrejević/Damián Torío, Kauan Soares, Neshama Nashman/Rose Nougué-Cazenave, Ako Sago, Paula Alves/Elisabeth Vincenti, Norma Magalhães, Doris Becker/Francesca Berruto
Düsseldorfer Symphoniker

















