
Rigoletto ist hier tatsächlich ein Revolutionär, der das bestehende System abschaffen will. So entsteht laut Sergio Morabito ein revolutionäres Theater der Grausamkeit. Der Herrscher ist dabei ein jugendlicher Libertin, der nur dem Rausch und dem Vergnügen lebt. Die Kostüme von Nina von Mechow unterstreichen die Zeitlosigkeit des Geschehens. Bei der dämonischen Gewitterszene zeigt sich dann die ganze Unerbittlichkeit der Handlung: Gilda wird ermordet.
Unter der impulsiven Leitung von Marc Piollet kann die Aufführung vor allem musikalisch überzeugen, auch wenn das Zusammenspiel bei manchen Passagen noch homogener sein könnte. Das Staatsorchester Stuttgart lotet die dramatischen Momente aber packend aus. Die deklamatorische und melodische Ausdruckswelt kommt so nie zu kurz. Dies zeigt sich insbesondere im leidenschaftlich gesteigerten Duett des dritten Aktes "Holdes Mädchen, sieh mein Leiden". Die unterschiedlichen Charaktere werden je nach Seelenlage genau nachgezeichnet - und auch die harmonische Einheit strömt in fesselnder Weise zusammen. Eindrucksvoll wird zudem das zu Beginn der Oper ertönende Fluch-Thema interpretiert, das die Blechbläser geheimnisvoll über einem Paukenwirbel intonieren! Der unheimliche c-Moll-Akkord bleibt hier wirklich markant im Gedächtnis. Die leitthematische Wiederkehr bei Rigolettos Auftritten erhält eine immer größere Intensität. Die Begegnung Rigolettos mit dem Mörder Sparafucile besitzt brennende Präsenz.
"Rigoletto nimmt, wie mir scheint, einen ganz besonderen Platz in Verdis Leben ein", bekannte der Dirigent Carlo Maria Giulini. Genau diesen Aspekt spürt man auch bei der Stuttgarter Aufführung. Dass "Rigoletto" ein Meisterwerk der Proportion ist, macht Marc Piollet mit dem Staatsorchester Stuttgart weitgehend überzeugend deutlich. Die Grundtonart "des" dieser Oper blitzt im Dominantseptakkord plastisch auf. Zwischen Des-Dur, As-Dur und es-Moll entfalten sich die zuweilen bizarren Nachtbilder. Die Tagszenen im Herzogspalast bilden hierzu einen scharfen Kontrast, der sich nicht nur in der Atmosphäre des lilafarbenen Vorhangs, sondern vor allem auch musikalisch zeigt. Statt des Tyrannen mordet die Revolution ihre eigenen Kinder, so Morabito.
Gesanglich befindet sich diese Produktion auf einem hohen Niveau. Atalla Ayan singt den Herzog mit weichem Timbre und strahlkräftigen tenoralen Spitzentönen. Martin Gantner antwortet ihm als Hofnarr Rigoletto mit robust-feurigem Bariton. Claudia Muschio ist eine Gilda mit weichen Legato-Bögen, zielsicheren Spitzentönen und einem wandlungsfähigen Timbre, das auch Parlando-Töne trifft. In weiteren Rollen überzeugen Maria Theresia Ullrich als markante Amme Giovanna, Joseph Tancred als facettenreicher Höfling Borsa, Elena Salvatori als durchtriebene Gräfin von Ceprano, Shunya Goto als Graf von Ceprano, Jacobo Ochoa als Höfling Marullo, Aleksander Myrling als fulminanter Graf von Monterone, Goran Juric als dämonischer Auftragsmörder Sparafucile, Niolas Calderon Bosom als Page der Herzogin von Mantua, Heiko Schulz als Gerichtsdiener sowie Itzeli del Rosario als Sparafuciles Schwester Maddalena. Die Herren des Staatsopernchores Stuttgart imponieren bei den großen Massenszenen mit bewegender Intonation und Leuchtkraft.
Martin Gantner macht bei seiner Interpretation deutlich, dass sich bei Rigoletto Vernichtung und Erkenntnis zugleich vollzieht. Dies macht sein markerschütternder Aufschrei "Ah, la maledizione!" ("Ah, der Fluch!") deutlich. Alles löst sich in einem harmonischen Halbschluss in es-Moll! Dass Rigolettos Beziehung zu seiner Umgebung immer komplizierter wird, zeigt Martin Gantner aufgrund charakteristischer Rhythmen und Melodien in stimmlich differenzierter Weise. Beim Duett mit Sparafucile umschließt die verführerische Melodie der Celli Rigoletto und den Mörder mit unheimlicher Bestimmtheit. Im Schlussduett hat Gilda sterbend ihre ganz eigene und unverwechselbare Melodie, was Claudia Muschio in berührender Weise verdeutlicht: "Lassu in cielo" ("Dort oben, im Himmel"). Atalla Ayan lässt das As-Dur des Herzogs bei der Ballata "Questa e quella" mit Ironie und Sarkasmus erklingen. Das H-Dur der "Canzona" unterstreicht nochmals die erschreckende Gefühlskälte des Herzogs. Rigolettos Seele zittert hier gleichsam im Orchester. Monterones Tonart c-Moll unterstreicht das Maskenhafte der übrigen Figuren. Ballfest und Entführungsszene entfalten sich in atemloser Geschwindigkeit. Der Einsatz der Frauenstimmen gerät dynamisch nie aus dem Gleichgewicht, das Tempo flattert nicht! Maddalenas und Sparafuciles monotoner Sprechrhythmus behauptet sich bedingungslos. Und die Verdammung Monterones durch Sparafucile gipfelt in einem kollektiven Wutausbruch: "Se pria ch'abbia il mezzo" ("Kommt jemand vor Mitternacht hier vorbei").
Jubel, Begeisterung.


















