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EIN TRAGISCHES REISEERLEBNIS -- "Mario und der Zauberer" von Thomas Mann im Studiotheater STUTTGART

Premiere am 22. Mai 2025

Zum 150. Geburtstag von Thomas Mann hatte in Stuttgart "Mario und der Zauberer" nach der gleichnamigen Novelle von Thomas Mann Premiere. Auf konzentriertem Raum lässt die Regisseurin Daniela Urban hier das Psychogramm einer Gesellschaft Revue passieren, die der Verführung des Totalitarismus erliegt. Bühne und Kostüme von Leah Lichtwitz unterstreichen diesen Ansatz. Diese Novelle von Thomas Mann entstand im Jahre 1929 und beschreibt den fatalen Sommerurlaub der Familie Mann ins faschistische Italien der 20er Jahre. Da hört man Mussolinis Stimme aus dem Radio, die Protagonisten gedenken der legendären Schauspielerin Eleonora Duse und das sonst so gastfreundliche Italien zeigt hier plötzlich sein hässlich-fratzenhaftes Gesicht.

 

Copyright: Stephan Haase

 Im Hotel, im Speisesaal und am Strand werden die Manns wie Menschen zweiter Klasse behandelt, was in der Inszenierung  drastisch geschildert wird. Als die achtjährige Tochter nackt am Strand herumläuft, kommt es zu einem Skandal und Bußgeldbescheid, der die Familie auf die Palme bringt. Es ist sogar vom Missbrauch der Gastfreundschaft die Rede. Den Kindern zuliebe arrangiert man sich jedoch und bleibt. Das Fass zum Überlaufen bringt jedoch die Begegnung mit dem raffinierten Zauberkünstler Cipolla, der als schamloser Hypnotiseur bei der Familie Mann Verzweiflung auslöst. Sie muss buchstäblich nach seiner Pfeife tanzen! Cipolla überschreitet immer wieder die Grenzen des Zumutbaren. Der aufgebrachte Kellner Mario erschießt ihn schließlich, als er ihn küssen musste.

Während der Inszenierung hört man  immer wieder Ausschnitte aus Richard Wagners Oper "Tristan und Isolde", im Hintergrund erscheinen die Silhouetten verschiedener Figuren. Erinnert wird damit ebenfalls an Thomas Manns Vortragsreise über Richard Wagner, den er auch kritisierte, womit er bei den Nazis aneckte. "Hätten wir abreisen sollen?" fragt Katia Mann nachdenklich. Der groteske Zauberer Cipolla erinnert stellenweise sogar an den unheimlichen Augenhändler Coppola aus dem "Sandmann" von E.T.A. Hoffmann. Cipolla spielt mit Mario und der Familie Mann Karten: "Der Herzbube sucht seine Herzdame..." Es gelingt der Regisseurin Daniela Urban, die Situation drastisch herauszuarbeiten, als die Familie Mann mit Mario den Bannkreis des dämonischen Hypnotiseurs endgültig durchbricht. I

mmerhin meinte Thomas Mann bezüglich seiner Italien-Reise: "Natürlich habe ich nichts gegen den Faschismus, wenn er Italien Ordnung und Glück bringt, aber ich habe manches gegen seine menschlichen Erscheinungsformen, gegen eine gewisse nationale Gereiztheit und Gespanntheit..." Das sind im Grunde genommen seltsame Worte, wenn man sich die spätere Entwicklung des Faschismus vor Augen hält, dessen Unmenschlichkeit ja immer mehr zunahm. Was ist uns unsere Freiheit wert? Wie widerstandsfähig sind wir als Gesellschaft? Diese zentralen Fragen werden bei der Inszenierung durchaus thematisiert.

Sebastian Schäfer kann Thomas Mann als wandlungsfähiger Darsteller eine überzeugende Aura geben. Auch Galina Freund als Katia Mann wirkt sehr authentisch. Sie stellt als geheimnisvoller Schatten noch Signora Angiolieri und Silvestra dar.  Achim Hall ist ein eindrucksvoller Cipolla, der als Schatten auch Mamma und Erwachsene verkörpert. Felix Jeiter fesselt als Mario, der als Schatten in den Kellner, Direktor, Fuggiero und Herr Schniepel schlüpft. Thomas Mann spiegelt hier die seelische und  gesellschaftliche Verfassung des Menschen in der Nachkriegszeit, in der sich das Heraufkommen des Terrors ankündigt.  Der jugendliche Kellner Mario tappt in die Falle dieses Hypnotiseurs, der ihm zur Belustigung des Publikums in der Suggestion die Erfüllung seiner hoffnungslosen Liebe zu einer Sängerin vorgetäuscht hat. Aus diesem Grund wird Mario Cipolla erschießen. Autoritäre Macht und psychologische Kontrolle werden so schließlich ad absurdum geführt.

Die Geschichte endet mit einem dramatischen Akt der Befreiung. Der Konflikt zwischen Willensfreiheit und Kontrolle eskaliert in schockierender Weise! Beim Publikum kam die Vorstellung gut an. Es gab viel Schlussapplaus und "Bravo"-Rufe.
 

 

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