
Die fast sphärenhafte Reinheit von G-Dur stellt Moritz Winkelmann dann bei seiner ausdrucksvollen Interpretation der Klaviersonate Nr. 10 in G-Dur op. 14/2 heraus, wobei die Leichtheit der thematischen Erfindung nur so hervorsprudelt. Das Hauptthema des ersten Satzes entwickelt sich dabei deutlich aus einem schwerelosen Motiv. Die kleine Coda mündet in ein letztes, berührend gestaltetes Aufschwingen der Melodie im Kopfsatz.
Ein Höhepunkt dieser neuen Einspielung ist aber die ausgefeilte Wiedergabe der Klaviersonate Nr. 23 in f-Moll op. 57 "Appassionata". Der vulkanische Ausbruch aller dynamischen Kräfte kommt hier jedenfalls fesselnd zum Ausdruck. Stürme und Dunkelheiten sprechen eine unheimliche Sprache, die Moritz Winkelmann poetisch beschwört. Insbesondere die Kunst des Anhebens wird bei dieser Wiedergabe beachtet. Das Hauptthema des ersten Satzes taucht geheimnisvoll hervor - der hohe Spaltklang eines Unisono im Abstand von zwei Oktaven klingt gespenstisch fahl. Das in der fünften Sinfonie wiederkehrende Schicksalsthema verschwebt - und Winkelmann übertreibt das Ritardando hier keineswegs. Im Finale imponiert die präzise Gestaltung des scharf rhythmisierten Achtel-Staccatos, das sich mit höllischer Rasanz steigert! Die Sechzehntelbewegung wirkt wie ein fataler Absturz.
Bei der Klaviersonate Mr. 16 in G-Dur op. 31/1 triumphiert der spielerische Sonatentypus. Die thematische Idee im Kopfsatz erscheint als musikalischer Witz - und Moritz Winkelmann charakterisiert den hintergründigen Humor glaubwürdig. Der abwärts eilende Lauf korrespondiert reizvoll mit dem punktiert rhythmisierten Motiv. Die mechanisch spieluhrhaft tickende Achtelbewegung im zweiten Satz Adagio grazioso gelingt Winkelmann ebenfalls überzeugend.
Bei der Wiedergabe der Klaviersonate Nr. 17 in d-Moll op. 31/2 "Der Sturm" meldet sich der kämpferische Beethoven, der ungestüm an die Pforten des Schicksals klopft. Die Dämonie des Ausdrucks dominiert. Beethovens Bemerkung "Lesen Sie Shakespeares Sturm" hat ihr den Namen "Sturmsonate" gegeben. Die geradezu revolutionäre Wirkung des Anfangssatzes stellt Moritz Winkelmann keineswegs übertrieben heraus. Das Anheben der Musik aus der Stille und das Wachsen der Farben und Formen werden hier eindringlich herausgearbeitet. Aus dunklem Klanggrund erhebt sich schemenhaft das Dreiklangmotiv. Die Dämonie des Finales ergibt sich aufgrund gut betonter melodischer und rhythmischer Monotonie. Das Viernotenmotiv beherrscht geradezu unerbittlich die thematische Entwicklung. Beethoven soll durch einen vorbeigaloppierenden Reiter in Heiligenstadt dazu inspiriert worden sein.
Die Heiterkeit der Klaviersonate Nr. 18 in Es-Dur op. 31/3 "La Chasse" wirkt bei Winkelmanns Interpretation hierzu wie ein überraschender Kontrast. Im ersten Satz meldet sich wieder ein Hauptthema mit fragmentarischen Motiven und drängenden Harmonien. Ritardando-Effekte werden nicht übertrieben. Scharf rhythmisierte Es-Dur-Takte geben dem Ganzen den letzten Schliff.
Der intime Charakter der Klaviersonate Nr. 24 in Fis-Dur op. 78 "A Therese" wird von Winkelmann einfühlsam betont. Die Widmung an die Gräfin Therese von Brunsvik ist wahrscheinlich das Dokument einer Liebe. Zart und poetisch erklingt hier die Harmonik, deren leisen Zauber Winkelmann sensibel einfängt. Auch der schwärmerische Doppelschlag im ersten Allegro besitzt Zauberkräfte. Tänzerisch leicht erscheint das Finale mit fast überirdischen Sechzehntelpassagen.
Als Ausdruck der Freundschaft ist die Klaviersonate Nr. 26 in Es-Dur op. 81a "Les Adieux" ("Der Abschied") zu verstehen - die einzige Programmsonate, die Beethoven geschrieben hat. Auch die schmerzliche Chromatik der Abschiedstrauer erhält im Kopfsatz großes Gewicht. Das weit ausschwingende Motiv der Coda zitiert das "Lebewohl"-Motv mit einer sanften Achtelbewegung eindrucksvoll.
Zuletzt erklingt auf dieser hörenswerten 3-CD-Box noch die Sonate Nr. 27 in e-Moll op. 90, die hier ebenfalls intim und lyrisch-persönlich wirkt. Inniges Gefühl, Wärme und tiefer Ernst werden von Moritz Winkelmann nicht geleugnet. Das lyrische Motiv entfaltet seinen unbeschreiblichen Zauber. Das lichte E-Dur des zweiten Satzes erstrahlt geradezu überirdisch. Die Coda spielt virtuos mit den Motivgliedern. Der Satz verklingt mit einer reizvollen Sechzehntelbewegung, die plötzlich verschwindert. Fazit: Insgesamt handelt es sich hier um eine neue Deutung von Beethovens Klaviersonaten, die sich nur entfernt an etwaigen Vorbildern orientiert und eine unverwechselbar eigene Note besitzt. Man kann die Einspielung deswegen empfehlen.