Die Erschließung seines Oeuvres sei nicht so einfach gewesen, da viele Werke von Wilhelm Grosz in diversen Bibliotheken weltweit verstreut schlummen würden. Leider habe er feststellen müssen, dass das eine oder andere Werk verschollen sei. Das betreffe leider auch Grosz' Opus 1, Variationen über ein Thema von Grieg für Klavier, das 1913 im Wiener Konzerthaus aufgeführt wurde. Wilhelm Grosz entstammte einer wohlhabenden jüdischen Familie. Zu seinen Lehrern zählten Franz Schreker, Richard Robert, der "Opernball"-Komponist Richard Heuberger, Robert Fuchs und Guido Adler. Unter Adler, dem Begründer der Wiener Musikwissenschaft, promovierte Grosz im Jahre 1920 zum Dr. phil. mit einer Dissertation zur Fugenarbeit in Mozarts Vokal- und Instrumentalwerken.
Er gehörte zu den vielseitigsten Talenten unter seinen Komponistenkollegen. Sein kompositorisches Schaffen umfasst Symphonik, Oper, Operette, Kammermusik, Lied, Kabarett, Bühnen-, Film- und Radiomusik (Funkoperette). Gottlieb Wallisch war von dieser Musik von Anfang an begeistert. Grosz habe unermessliches Talent gehabt, sei sehr anpassungsfähig und sensibel gewesen. Sein Selbstbewusstsein sei sicher auch durch unglaubliche Erfolge in jungen Jahren gesteigert worden. "Er war ein ausgezeichneter Pianist, sein Schreibstil lässt einen umfassenden Virtuosen am Flügel erahnen", so Gottlieb Wallisch. "Die orchestrale Fülle und die klangliche Opulenz beeindrucken mich, ich sehe ihn da klar von seinem Lehrer Franz Schreker geprägt", ergänzt er.
Davon kann man sich auf dieser hörenswerten CD ausgiebig überzeugen. Vor allem die beiden Stücke aus der Bühnenmusik zu Franz Werfels magischer Trilogie "Spiegelmensch" aus dem Jahre 1922 faszinieren mit harmonischer Vielschichtigkeit, die Wallisch überzeugend betont. Bei der Tanzsuite aus den Jahren 1913/1921 fesselt die stilistische Virtuosität bei den Sätzen Menuett, Gavotte, Walzer und Polka. Die spätromantische Tonsprache fällt dabei besonders auf, die allerdings nie altmodisch klingt.
Wilhelm Grosz lehnte übrigens Werke von Zwölftonkomponisten wie Anton Webern strikt ab. Auch bei seiner Sonatina Sopra 'E-H-A-E' Sul Pianoforte op. 2 (1925) orientiert er sich sehr stark an tonalen Elementen. Diese vier Töne bilden die Grundlage der drei Sätze der Sonatina. Harmonische Dichte und rhythmische Finessen prägen stark die formale Gestaltung. Die Sonate op. 21 wirkt hier in der suggestiven Wiedergabe von Gottlieb Wallisch geradezu exemplarisch. Die klassische Sonatenhauptsatzform wird dabei neu gedeutet, die Themen gefallen mit unterschiedlichen Tempi, die gut betont werden. Die Linien des zweiten und dritten Themas werden konsequent weiter entwickelt - und die Durchführung des Satzes bringt keine thematisch-motivische Verarbeitung. Die Coda beeindruckt aufgrund ihrer spieltechnischen Geschwindigkeit. Der "Siziliana"-Mittelsatz gewinnt exotisch-impressionistische Farbe. Und das monothematische Finale wirkt mit seiner strengen kontrapunktischen Verarbeitung des einzigen Themas irgendwie triumphal.
Hohe spieltechnische Anforderungen werden bei Grosz' letzter Komposition, den 12 Improvisationen op. 45 (1938-39), gestellt. Gottlieb Wallisch gelingt es überzeugend, die Balance zwischen nächtlichen Filmszenen, Gospel-Gesang und Tango differenziert herauszuarbeiten. Eine gewisse Nähe zu Erich Wolfgang Korngold ist hier unüberhörbar. Wieder fällt der fast sinfonische Kompositionsstil positiv auf. Eine bemerkenswerte Hommage an diesen ungewöhnlich einfallsreichen Komponisten, der im Jahre 1939 mit nur 45 Jahren in New York City plötzlich starb.