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SOGAR CARMEN IM ORCHESTERGRABEN -- "Die Fledermaus" von Johann Strauss an der Wiener Staatsoper via Live-Stream

am 31.12. 2024

In der humorvollen Inszenierung von Otto Schenk und dem pompös-opulenten Bühnenbild von Günther Schneider-Siemssen (Kostüme: Milena Canonero) kann sich der hintersinnige Zauber der "Fledermaus" bestens entfalten. Vor allem die drei heiklen Vorgeschichten rücken hier grell in den Mittelpunkt des Geschehens. Als beide noch Junggesellen waren, hat Gabriel von Eisenstein als Lebemann mit Geld seinem Freund, dem Notar Dr. Falke, einen Streich gespielt. Nach dem gemeinsamen Besuch eines Maskenballs, wo er ihn betrunken gemacht hatte, ließ er ihn im grotesken Kostüm einer Fledermaus schlafend im Stadtpark liegen.

 

So war Falke am Tag dem Spott der Straßenpassanten ausgesetzt. Da der Gefoppte diese Blamage nicht vergessen hat, will er sie heimzahlen. Hinzu kommt, dass sich Eisenstein an einem Amtsdiener in Wort und Tat vergriffen hat. Dafür muss er für acht Tage ins Gefängnis. Zum Dritten hatte seine Gattin Rosalinde vor ihrer Ehe einen Liebhaber, den Tenor Alfred, der plötzlich wieder auftaucht, was die Verwirrung komplett macht. Sie muss ihm ein Stelldichein versprechen, wenn ihr Mann hinter Gittern ist. Wie sich jetzt diese drei Szenen der Vergangenheit im gegenwärtigen  Geschehen überkreuzen und selbst ad absurdum führen,  lässt die insgesamt doch sehr vergnügliche Inszenierung von Otto Schenk überzeugend deutlich werden. Der lokale Rahmen der Stadt Baden bei Wien wird hier nicht vernachlässigt. Dr. Falke übernimmt darüber hinaus eine zentrale Rolle im Handlungsgeschehen. Insbesondere das grandiose Fest beim Russenprinzen Orlofsky mit Glückspiel, Wein, Flirt und Tanz im zweiten Akt eskaliert zusehends. Als die Uhr plötzlich sechs Uhr morgens schlägt, muss Eisenstein seinen Arrest beim Gefängnisdirektor Frank antreten.  

Und der dritte Akt gerät bei der Wiener Aufführung zu einem satirischen Höhepunkt, denn der Schließer Frosch scherzt hier zu Melodien aus Bizets Oper "Carmen"  sogar mit den Musikern im Orchestergraben. Auch ironische Bemerkungen über den möglichen Kanzler Herbert Kickl sowie den Besuch des künftigen US-Präsidenten Donald Trump in Österreich haben ihren gebührenden Platz. Da rückt das Zeitgeschehen zentral in den Mittelpunkt. Wie schwer es der Gefängnisdirektor Frank hat, sich nach der turbulenten Nacht in den Amtsstuben zurechtzufinden, macht diese trotz ihres Alters keineswegs angestaubte Inszenierung ebenfalls deutlich. Otto Schenk hat es vor allem verstanden, mit Massenszenen einfallsreich umzugehen. Aber auch die eher intimen und nachdenklichen Passagen kommen nicht zu kurz.

Dann sprechen zwei Damen vor: Die vorgebliche Schauspielerin Adele, die von ihrer Schwester Ida unterstützt wird. Sie hofft auf die Protektion des Chevalier Chagrin für eine Theaterausbildung. Dann kommt Eisenstein und bemüht sich, Chagrin mit dem Gefängnisdirektor und sich mit sich selbst zu identifizieren. Denn er erfährt,  dass ein gewisser Herr Eisenstein schon gestern hierher gebracht worden sei. Nun eilt Rosalinde herbei, um Alfred zu befreien und den Gatten wegen seiner Ausschweifungen zur Rechenschaft zu ziehen. Das Erscheinen des Prinzen Orlofsky gibt dem Opfer seinen Frieden. Eisenstein darf jetzt acht Tage in seiner Zelle ausruhen.

Das Orchester der Wiener Staatsoper musiziert unter der inspirierenden Leitung von Bertrand de Billy  aus einem Guss. Das zeigt sich schon bei der sprühend-schwungvoll dargebotenen Ouvertüre. Walzer und Galopp erreichen im Finale des zweiten Aktes einen Höhepunkt. Das Allegretto moderato des Verbrüderungswalzers geht wirklich unter die Haut. Und auch beim Abschiedsterzett im ersten Akt  kann Hulkar Sabirova als Rosalinde zusammen mit Ilia Staple als Vorstellungskünstlerin Adele alle gesanglichen Register ziehen. Das erinnert schon sehr an eine Opera seria. Im C-Dur-Maestoso-Teil dieses Terzetts unterstreichen die Blechbläser dann triumphal das Wiedersehen wie ein Fanal zum Jüngsten Tag. Und es gelingt Bertrand de Billy als Dirigent immer wieder, die ironischen Sequenzen dieser Musik mit dem Orchester der Wiener Staatsoper passend und erfrischend zu betonen.

Davon profitieren auch die anderen Sänger - allen voran Georg Nigl als exaltierter Gabriel von Eisenstein. Aber auch Hannah-Theres Weigl als Ida, Wolfgang Bankl als Frank, Jörg Schneider als Alfred, Daria Sushkova als Orlofsky, Andrea Giovannini als Dr. Blind, Clemens Unterreiner als Dr. Falke und natürlich Michael Niavarani als Frosch gewinnen im Lauf der Vorstellung immer mehr darstellerisches Format. Alfreds Lied "Täubchen, das entflattert ist" und Orlofskys Couplet "s' ist mal bei mir so Sitte" sowie Rosalindes Csardas zeigen ebenfalls starke Präsenz. Die Tik-Tak-Schnellpolka des Duetts zwischen Rosalinde und Eisenstein wird gewürzt von der Schnellpolka "Unter Donner und Blitz" sowie dem überschäumenden Galopp "Im Feuerstrom der Reben" des zweiten Akt-Finales. Hier ist vor allem die Choreographie "Unter Donner und Blitz" von Gerlinde Dill im zweiten Akt gelungen. Feuriger Walzer und "Brüderlein und Schwesterlein"-Weise geraten zu weiteren Glanzpunkten dieser Aufführung. Wie das überdrehte Tempo allmählich wieder ins Gleichgewicht gerät, kann man so weitgehend nachvollziehen. Die Spannungskurve von Adeles drei Solonummern zieht sich wie ein roter Faden durchs Programm und schafft dynamische Spannung. Auch der Staatsopernchor kann überzeugen. Großer Jubel.
 

 

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