Bislang erklang in Dresden «Boris Godunow» immer in den nach Mussorgskis Tod vorgenommenen Bearbeitungen von Nikolai Rimski-Korsakow und Dimitri Schostakowitsch. Diese basierten vorwiegend auf der zweiten, im Jahre 1872 von Mussorgski erstellten Fassung seiner Oper, die sich durch gravierende Neuerungen wie die Einfügung einer zentralen Frauenfigur inklusive Liebesgeschichte von der ursprünglichen Fassung entfernt hatte. War besonders die Fassung von Rimski-Korsakow durch Uminstrumentierung, harmonischer und rhythmischer Glättung dem damaligen Zeitgeist gezollt, so ist nach heutiger Meinung die ausschließlich auf Mussorgski zurückgehende älteste Fassung von 1869 paradoxerweise die modernste.
In ihr zeigt der Komponist durch neuartige Handlungs-Dramaturgie, eigenwillige Instrumentierung, überraschende Wechsel von Rhythmus und Metrum und aufeinander prallende Tonarten, wie er mit Konventionen seiner Zeit brach. Und wie er so umso mehr ein deutliches Bild von faszinierender Schroffheit und bizarrer Zerrissenheit zeichnet – einen Spiegel des Volkes und seines Herrschers.
Mussorgskis Fassung aus dem Jahr 1869 verfügt insbesondere über die psychologische Feinsinnigkeit, nervenerregend das erschütterte Seelenleben des ins Zentrum der Verantwortung und des Machtapparats gestellten und daran scheiternden Zaren zu vermitteln – gerade hier zeigt die Oper die Kehrseite der funkelnden Machtmedaille; Mussorgski lässt den Chronisten Pimen sagen: «Glaube mir: Allein aus der Ferne bezaubert die Macht».
Die musikalische und dramaturgische Anlage dieser faszinierenden «Ur-Fassung» wirkt auf Christian Pades aktuelle Inszenierung von «Boris Godunow», an der Sächsischen Staatsoper ein.
Handlung
Boris Godunow sieht sich mit dem ihn schwer belastenden, aber nicht belegbaren Vorwurf konfrontiert, er habe den rechtmäßigen Zarewitsch umbringen lassen, um selbst die Macht über Russland zu erlangen. Bereits bei seiner Krönung zeigt sich Boris weniger als souveräner Herrscher, denn als ein mit Ängsten beladener Mann – mit dem Willen, das Volk gerecht zu regieren, aber doch zweifelnd, ob es ihm gelingen werde. Nach Jahren zieht er, der Zar, Bilanz seiner Herrschaft und muss sich sein politisches Scheitern eingestehen, denn Not und Elend des Volkes werden ihm direkt angelastet. Zudem pflanzen Manipulatoren in ihm Gewissensqualen, die Schuld für den Tod des einstigen Zarewitschs bei sich zu suchen und sich als unrechtmäßigen Träger der Krone zu sehen. Nicht mehr Herr seiner Vernunft wird er das Opfer seiner eigenen Psyche und geht daran zugrunde.
in russischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Musikalische Leitung Sebastian Weigle
Inszenierung Christian Pade
Bühnenbild und Kostüme Alexander Lintl
Projektionen Bastian Trieb
Licht Franz David
Choreinstudierung Ulrich Paetzholdt
Dramaturgie Stefan Ulrich
Boris Godunow Renè Pape
Fjodor Martin Wölfel
Xenia Lin Lin Fan
Xenias Amme Hanna Schwarz
Fürst Schuiskij Wolfgang Schmidt
Andrej Schtschelkalow Matthias Henneberg
Pimen John Tomlinson
Grigorij Otrepjew Stefan Margita
Warlaam Markus Marquardt
Missaïl Tom Martinsen
Schankwirtin Christa Mayer
Gottesnarr Timothy Oliver
Leibbojar Gerald Hupach
Mitjucha Sangmin Lee
Polizist (Pristav) Peter Lobert
Es singen der Staatsopernchor und der Kinderchor
Es spielt die Sächsische Staatskapelle Dresden
Weitere Vorstellungen
17.12.2008 Mittwoch 19:00
21.12.2008 Sonntag 19:00
23.12.2008 Dienstag 19:00
26.12.2008 Freitag 18:00
29.12.2008 Montag 19:00
03.01.2009 Samstag 19:00
03.07.2009 Freitag 19:00
Christian Pade (Inszenierung)
Der in Kassel geborene Christian Pade studierte Regie und Schauspiel an der Otto-Falckenberg-Schule München. Anschließend arbeitete er als Regieassistent an den Münchner Kammerspielen u.a. mit Dieter Dorn, Hand Lietzau, Herbert Achternbusch und Volker Schlöndorff zusammen. Seit 1990 inszenierte er u.a. in München, Heidelberg, Stuttgart, Freiburg und Frankfurt. Seine Beschäftigung mit dem Musiktheater begann am Staatstheater Darmstadt mit einer Inszenierung von Leo Falls Operette «Madame Pompadour». 2004 inszenierte er an der Staatsoper Berlin als äußerst erfolgreiches Hausdebüt Henzes «Elegie für junge Liebende» und Beethovens «Fidelio» an der Oper Dortmund. Nach Tschaikowskis «Pique Dame» und Mussorgskis «Chowanschtschina» an der Oper Frankfurt setzt Christian Pade nun mit «Boris Godunow» an der Semperoper seine inszenatorische Auseinandersetzung mit russischer Oper fort.
Alexander Lintl (Bühnenbild und Kostüme)
Der Bühnen- und Kostümbildner studierte an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien Industrial Design und im Anschluss daran bei Axel Manthey Bühnen- und Filmgestaltung. Seit der Inszenierung von Strindbergs «Traumspiel» in Stuttgart 1987 arbeitete er bei allen Inszenierungen Mantheys mit am Bühnenbild, 1992 wird er sein Co-Bühnen- und Kostümbildner. Parallel dazu arbeitet er seit 1990 als freier Bühnen- und Kostümbildner für Schauspiel- und Musiktheater-Inszenierungen, u.a. in Mannheim, Bonn, Darmstadt, Heidelberg, Ulm, Schauspiel und Oper des Staatstheaters Stuttgart, Burgtheater Wien, Münchner Kammerspiele, Thalia Theater in Hamburg, Schauspiel und Oper Frankfurt, Theater am Neumarkt Zürich. Für Christian Pades Inszenierungen entwirft Alexander Lintl fast sämtliche Bühnenbilder und Kostüme; aktuellste gemeinsame Produktion ist «Der zerbrochene Krug» am Schauspiel Bremen.
Sebastian Weigle (Musikalische Leitung)
Seine Ausbildung erhielt Sebastian Weigle an der Berliner Hochschule für Musik «Hanns Eisler», wo er Horn, Klavier und Dirigieren studierte. 1982 wurde er zum 1. Solohornisten der Staatskapelle Dresden ernannt. Er gründete 1987 den Kammerchor Berlin und war künstlerischer Leiter des Neuen Berliner Kammerorchesters. 1993 wurde er Chefdirigent des Landesjugendorchesters Brandenburg und von 1997 bis 2002 1. Staatskapellmeister an der Staatsoper Berlin, wo er mit zahlreichen Opern und Balletten ein großes Repertoire dirigierte. Er gastierte u.a. an der Oper Frankfurt, beim Granada Festival, am Nationaltheater Mannheim, an der Volksoper Wien, der Cincinnati Opera und der Metropolitan Opera New York, bei den Bayreuther Festspielen, in Syndey und in Japan. Seit 2004 ist Sebastian Weigle Chefdirigent des Gran Teatre del Liceu in Barcelona. In den Jahren 2003, 2005 und 2006 wurde er vom Magazin «Opernwelt» zum Dirigenten des Jahres gewählt. Ab dieser Spielzeit ist Sebastian Weigle Generalmusikdirektor der Oper Frankfurt, was er im mit einem fulminanten Saisonstart mit Reimanns «Lear» beeindruckend dokumentierte.