Doch das fröhliche Dorffest wird jäh unterbrochen: Unter dem Eis des Mühlbaches wurde ein toter Säugling gefunden. Jenůfa erkennt erschrocken ihren Sohn, dessen Vater Števa ist und den sie verborgen vor dem Dorf zur Welt gebracht hat. Sofort wird sie als Kindsmörderin verdächtigt. Doch die im Dorf verehrte Küsterin, ihre Stiefmutter, bekennt sich zu der Tat: Als das Kind acht Tage alt war, hatte sie Jenůfa einen Schlaftrunk gegeben, den Jungen ertränkt und behauptet, er sei während einer mehrtägigen »Krankheit« Jenůfas gestorben. Sie wollte sich und ihrer Stieftochter vor einem Leben in Schande bewahren. Die Küsterin wird abgeführt, Jenůfa will in ihrer Schmach allein bleiben, doch Lacas Liebe überwindet die Verzweiflung, und sie gehen gemeinsam in ihr weiteres Leben.
Eifersucht, Gewalt und Kindstötung – die Geschichte, die im letzten Akt von Leoš Janáčeks Oper »Jenůfa« kulminiert, scheint eher geeignet, die lüsterne Sensationsgier heutiger Boulevardmedien zu erregen als die musikdramatische Phantasie eines Komponisten Ende des 19. Jahrhunderts. Doch Leoš Janáček fühlte sich vom Drama »Její pastorkyňa« (Ihre Stieftochter) der tschechischen Autorin Gabriela Preissová unmittelbar angeregt; beim Lesen seien »ganze Textpassagen durch seinen Kopf geschossen, die er sofort in Musik setzte« (so Preissová in einer späteren biographischen Notiz). Der dörfliche Realismus Preissovás war unter Zeitgenossen nicht unumstritten, beraubte sie doch das ländliche Milieu seiner beliebten folkloristisch-romantischen Verklärung. Doch gerade das Drama des Dorflebens interessierte Janáček. Auch wenn er den Text um ein Drittel straffte, übernahm er doch die ungebundene Alltagssprache der Vorlage, durchsetzt mit Dialektwörtern, unverändert für seine Vertonung. Aus den sprachlichen wurden musikalische Wendungen, die als motivische Keimzellen ihr musikalisches Eigenleben im Orchestersatz entfalten.
Mit seiner ersten großen Erfolgsoper »Jenůfa«, von 1894 bis 1904 entstanden, erweist sich Janáček als »unzeitgemäßer Zukunftsmusiker« (Ulrich Schreiber), der unabhängig von Debussys »Pelléas et Mélisande« (1902) und Strauss’ »Salome« (1905) auf eine neue Ebene der Literaturoper tritt. Sein musikalischer Personalstil, der in »Jenůfa« zum ersten Mal vollkommen offenbar wird, ist mit Begriffen wie »Klangrede« oder »Sprachmelodie« nur unzulänglich zu fassen. Ausgangspunkt ist die gesprochene tschechische Sprache, und »hinter der Melodie der Sprache erscheint wie durch einen Zauber das menschliche Wesen« (Leoš Janáček). So ist es dieses allgemein menschliche Wesen, dessen Fähigkeit zu Liebe und Schmerz, Schuld und Vergebung Janáček in Musik fasst.
Floris Visser (geb. 1983) gilt als eines der hoffnungsvollsten jungen Regietalente der aktuellen Opernszene. Er studierte Schauspiel und Regie an der Theaterakademie Maastricht sowie Gesang am Königlichen Konservatorium Den Haag. Erfahrungen sammelte er sowohl durch Inszenierungen bei freien Schauspiel- und Musiktheatergruppen als auch als Regieassistent von Willy Decker in Amsterdam. 2012 war Floris Visser Cultural Professor an der Technischen Universität Delft und inszenierte dort eine viel beachtete „Carmen“. 2013 wurde er Künstlerischer Leiter der Opera Trionfo in Amsterdam. Er ist der erste niederländische Regisseur, der ans Bolschoi Theater in Moskau eingeladen wurde, wo er im Mai 2014 eine gefeierte Produktion von Mozarts „Così fan tutte“ herausbrachte.
Nach seiner Inszenierung von Puccinis „La Bohème“ ist „Jenufa“ erst die zweite Produktion Vissers an einem deutschen Opernhaus. Wichtige Regiearbeiten aus jüngerer Zeit sind Brittens „Owen Wingrave“ für die Opera Trionfo sowie Glucks „Orphée et Eurydice“ an der Nederlandse Reisopera Enschede. Zukünftige Engagements führen ihn an renommierte internationale Bühnen, so u.a. an das Opernhaus Zürich, zu den Händelfestspielen in Karlsruhe und erneut an die Nederlandse Reisopera.
In der Titelrolle von „Jenufa“ ist die holländische Sopranistin Kelly God zu hören, die an ihrem Stammhaus Hannover bereits in vielen zentralen Fachpartien zu hören war, darunter als Tosca, Feldmarschallin im „Rosenkavalier“, Ellen Orford in „Peter Grimes“, Gräfin in „Die Hochzeit des Figaro“ und in der Titelrolle von „Lady Macbeth von Mzensk.“
Als Küsterin ist die international gefragte Mezzosopranistin Hedwig Fassbender zu erleben, die mit dieser zentralen Rolle ihres Repertoires – sie hat sie u.a. in Bordeaux und Monte Carlo gesungen – ihr Debüt an der Staatsoper Hannover gibt. Als Stewa ist Robert Künzli zu hören, als Laca Ivan Tursic in seiner letzten neuen Partie an der Staatsoper Hannover. Generalmusikdirektorin Karen Kamensek dirigiert den Chor der Staatsoper Hannover und das Niedersächsische Staatsorchester Hannover. Bühnenbild und Kostüme hat Dieuweke van Reij entworfen.
Oper in drei Akten (1904)
Libretto vom Komponisten
nach dem Drama »Její pastorkyňa« (Ihre Stieftochter) von Gabriela Preissová (1890)
In tschechischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Musikalische Leitung
Karen Kamensek
Inszenierung
Floris Visser
Bühne und Kostüme
Dieuweke van Reij
Choreographie
Loris Zambon
Lichtdesign
Alex Brok
Licht
Elana Siberski
Choreinstudierung
Dan Ratiu
Dramaturgie
Swantje Köhnecke
Die alte Buryjovka
Diane Pilcher
Laca Klemeň
Robert Künzli
Števa Buryja
Ivan Turšić
Die Küsterin Buryjovka
Hedwig Fassbender
Jenůfa
Kelly God
Altgesell
Michael Dries
Dorfrichter
Daniel Eggert
Seine Frau
Julie-Marie Sundal
Karolka
Carmen Fuggiss
Magd
Marie-Sande Papenmeyer
Barena
Athanasia Zöhrer
Jano
Eunhye Choi
Chor der Staatsoper Hannover
Niedersächsisches Staatsorchester Hannover
Die Premiere wird live auf NDR Kultur übertragen.
Termine
11.07.15 Sa 19:30
14.07.15 Di 19:30
17.07.15 Fr 19:30
09.10.15 Fr 19:30
17.10.15 Sa 19:30
23.10.15 Fr 19:30
29.10.15 Do 19:30
11.11.15 Mi 19:30