Sich schleichend verändernde Dur- und Moll-Dreiklänge, klar umrissene thematische Strukturen, die sich unmerklich verwandeln, meditative Klangflächen und Bewegungen, all das macht bis heute den Zauber und die Popularität von Glass' Kompositionen aus. Berührungsängste kennt der Komponist nicht. Er schreibt für die Opernbühne, den Konzertsaal, für Hollywood oder auch mal fürs Werbefernsehen.
Im Jahr 2000 legte Glass seine Kammeroper »In the Penal Colony« (In der Strafkolonie) nach der Erzählung von Franz Kafka vor. Wer die Episode des namenlosen Reisenden, der in einer Strafkolonie Zeuge einer bizarren wie schockierenden Hinrichtungsmethode wird, einmal gelesen hat, dem wird sie so schnell nicht aus dem Kopf gehen: Eine angeblich perfekte Tötungsmaschine soll eine überaus »menschliche«, aber gerechte und schmerzhafte Hinrichtung garantieren. Den ahnungslosen Verurteilten wird ihre Strafe mit Nadeln in den Körper eingeschrieben bis der Tod eintritt. Die »Strafkolonie« trifft noch heute, weit über 100 Jahre nach ihrer Entstehung mitten ins Bewusstsein, wirft Fragen auf und konfrontiert den Leser mit menschlichen Abgründen – kalt lässt sie keinen.
Glass' Kammeroper für zwei Sänger - Maria Rosendorfsky und Martin Gäbler - und zwei stumme Darsteller - Jochen Schreiber und Elias Hörz - orientiert sich weitgehend am Handlungsablauf von Kafkas Erzählung. Die Besonderheit ist aber die klangliche Umsetzung: Philip Glass vollzieht den szenischen Schrecken nicht in brutalen Klängen nach, sondern kontrastiert das Geschehen mit einer für Glass typischen meditativen Schlichtheit. Ein Streichquintett bestehend aus Musikerinnen und Musikern des Philharmonischen Orchesters der Stadt Ulm strukturiert unter der musikalischen Leitung von Hendrik Haas mit sanft fließenden, aber auch unerbittlich flirrenden, immer tonalen Akkordfolgen den Ablauf. Eine nahezu friedliche Atmosphäre, die auch überraschend viel von der Distanziertheit des kafkaschen Textes hat – zarte, stille Schönheit im Angesicht des Todes.
Ab dem 8. November kann man sich im Podium des Theaters Ulm ihr eigens Bild von Glass' und Kafkas »Strafkolonie«, gesungen in deutscher Sprache, machen. In der Inszenierung von Sarah Kohrs und der Ausstattung von Monika Gora wird deutlich, dass das Werk an Relevanz nichts verloren hat, schon gar nicht in einer Welt, in der Gewalt und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erschreckend alltäglich geworden sind.
Musikalische Leitung Hendrik Haas
Musikalische Leitung Michael Weiger (14.12.2019, 28.12.2019)
Inszenierung Sarah Kohrs
Ausstattung Monika Gora
Dramaturg Benjamin Künzel
Regieassistenz & Abendspielleitung Andreea Geletu
Mit
Martin Gäbler (Der Offizier) Maria Rosendorfsky (Der Besucher)
Zusätzliche Rollen
Jochen Schreiber (Der Soldat)
Elias Hörz (Der Gefangene)
Ein Streichquintett des Philharmonischen Orchesters der Stadt Ulm