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Uraufführung: "Annette, ein Heldinnenepos" nach dem Roman von Anne Weber - Schauspiel Hannover

Premiere 26. Februar 2022, 19.30, Schauspielhaus

Anne Beaumanoir, genannt Annette, wird 1923 in einem kleinen Ort an der französischen Atlantikküste geboren. Sie wächst in einfachen Verhältnissen auf. Doch wichtiger als Wohlstand sind für ihre Familie Werte wie Menschenliebe, Gerechtigkeit und Ehrlichkeit. Während des Spanischen Bürgerkriegs 1936 kommen fliehende Spanier:innen in den Ort, zwei Jahre später die ersten Deutschen, die vor den Nazis flüchten.

Copyright: Kerstin Schomburg

Annette wird früh mit den Auswirkungen von Gewalt und Unterdrückung konfrontiert, und als 1940 deutsche Panzer die französische Grenze überqueren, will sie aktiv werden. Wenn Unrecht geschieht, dann muss man handeln. Annette tritt der Kommunistischen Partei bei, denn dass alle gleich sind, findet sie gut, auch wenn die Männer noch immer etwas gleicher sind.

Indem sie kleine, geheime Aufträge übernimmt, wird sie Teil der Résistance. Dort lernt sie Roland kennen, ihre erste Liebe. In Paris entkommen die beiden bei der Rettung einer jüdischen Familie nur knapp den Nazis und müssen, weil sie die strikten Regeln der Résistance verletzt haben, die Stadt verlassen. In den Wirren der letzten Kriegstage verlieren sie sich aus den Augen. Nach Kriegsende studiert Annette Medizin und wird Ärztin.

Sie gründet eine Familie mit ihrem neuen Mann Jo und könnte das Leben genießen, aber ihr Land, das sie doch gerade erst von den deutschen Besatzer:innen befreite, verhält sich selbst wie eine Besatzungsmacht. In Algerien, seit 1830 von Frankreich als Kolonie besetzt, regt sich ab den 1950er Jahren Widerstand. Da die politischen Versuche der einheimischen Bevölkerung scheitern, für sich die gleichen Rechte durchzusetzen wie für Franzosen, kommt es zu gewaltsamen Demonstrationen und Anschlägen der neu gegründeten algerischen Unabhängigkeitsbewegung FLN. Das französische Militär geht in Algerien mit äußerster Brutalität gegen die Bevölkerung vor und foltert Zivilist:innen und FLN-Aktivist:innen.

Die Kommunistische Partei, die sich sonst als Vorkämpferin für die Befreiung unterdrückter Menschen versteht und deren Mitglied Annette weiterhin ist, schweigt zu den „Ereignissen“. Also muss Annette handeln und geht erneut in den Widerstand, diesmal gegen die eigene Partei und die eigene Regierung. Sie beginnt für die FLN Geld durch Europa zu schmuggeln. Während einer Autofahrt wird Annette, hochschwanger mit ihrem dritten Kind, verhaftet und anschließend zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Ihr gelingt die Flucht nach Tunis, wo die provisorische algerische Regierung arbeitet. Nach dem erfolgreichen Unabhängigkeitsreferendum von 1962 wird sie Teil der ersten frei gewählten Regierung in Algerien, doch nur drei Jahre später putscht das algerische Militär. Annette flieht in die Schweiz. Nach ihrer Pensionierung zieht sie zurück nach Frankreich und fährt durch die Regionen, um in Schulen und bei Veranstaltungen von ihren Erlebnissen im Widerstand und vom kolonialen Erbe Frankreichs zu erzählen.

Anne Weber setzt Anne Beaumanoir mit ihrem 2020 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Roman ein Denkmal. In zugänglichen Versen als modernes Epos geschrieben, entfaltet sich vor unseren Augen ein Leben, das so reich ist an Geschichte und kleinen Entscheidungen mit großer Wirkung, dass es mindestens für drei reichen würde. Dabei spiegelt das Leben von Anne Beaumanoir nicht nur den Kampf gegen Unterdrückung sowie das Hoffen und Scheitern des westeuropäischen Kommunismus wider, sondern vor allem, dass Geschichte immer von einfachen Menschen gemacht wird: Menschen wie wir.

Regisseurin Lily Sykes zeigt nach Orlando mit Annette, ein Heldinnenepos ihre zweite Inszenierung am Schauspiel Hannover.

Regie Lily Sykes
Bühne Jelena Nagorni
Kostüme Ines Koehler
Musikalische Leitung David Schwarz
Dramaturgie Hannes Oppermann

Mit
Mohamed Achour,
Corinna Harfouch,
Alrun Hofert,
Oscar Olivo,
Aline Reier,
Katherina Sattler,
David Schwarz

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