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"Hedda Gabler" von Henrik Ibsen - Stadttheater Bremerhaven

PREMIERE 12. November 2022, 19:30 Uhr // Kleines Haus

Hedda, die im Titel den Namen ihres Vaters trägt und nicht den ihres Ehemannes Jørgen Tesman, hat erst einmal alles, was sie sich wünscht: Einen erfolgreichen Wissenschaftler als Mann, der ihr ein eingerichtetes Haus und damit eine gesicherte gesellschaftliche Stellung präsentiert. Ansonsten betrachtet sie ihn mit Gleichgültigkeit, und er hat kein Gespür für ihre Weiblichkeit.

 

Copyright: Stadttheater Bremerhaven

Als Hedda von ihrer alten Bekannten Thea Elvsted erfährt, dass ihr ehemaliger Geliebter Eilert Løvborg wieder in der Stadt ist, wirbelt das ihr Innenleben durcheinander. Während Tesman auf den Austausch mit seinem Kollegen und Konkurrenten gespannt ist, befindet sich Hedda auf einer emotionalen Achterbahnfahrt. Da hilft es auch nicht, dass Richter Brack, ein Freund des Hauses, ihr ein Dreiecksverhältnis anträgt, weil er spürt, dass Hedda ihren Mann nicht liebt ...

Viel mehr als eine Familiengeschichte
Während der Autor in seinen früheren Werken Figuren beschrieben hat, die logisch und nachvollziehbar handeln, reißt Ibsen in Hedda Gabler, modellhaft auseinander, was in einer Figur stehen könnte. Er schafft mit sehr kleinem Personal eine starke geistesgeschichtliche Konstruktion, in der die Prinzipien von Ordnung und Chaos aufeinandertreffen, verkörpert durch die beiden Männer Tesman und Løvborg. Das Ideal bestünde in der Synthese, doch Ibsen lässt es tragisch enden. Nur sechs Figuren auf engem Raum. «Doch das Stück ist mehr als eine Familiengeschichte, viel mehr», betont Regisseur Thomas Oliver Niehaus.

Der Begriff der Zukunft
Alle Personen kreisen permanent um sich selbst. «Das ist sehr aktuell. Wir sehen immer nur das, was nicht stimmt. Und das wird immer mehr. Aber es gibt keine Idee für eine Zukunft, die über das Erleben hinausgeht. Und wenn man nicht weiß, wohin, führt das in die Krise», so Niehaus. Mehrfach fällt der Begriff der Zukunft. Um die künftige Entwicklung der Gesellschaft geht es auch im Manuskript, das im Zentrum steht und in das so viel hineininterpretiert wird. Es geht um den Entwurf eines Morgen. Aber Hedda hat keinen Entwurf von sich. «Das ist trotz aller Komik, die im Stück enthalten sein darf und auch muss, zutiefst traurig.» Hedda sieht, wie alles kollidiert und nicht zusammenpasst, und daran zerbricht sie.

Freiheit vs. Identität
Freiheit ist ein anderes großes Lebensthema bei Ibsen. Die Suche nach der eigenen Identität und die Frage danach, wie wichtig diese ist. «Freiheit ist manchmal das Gegenstück dazu», sagt Niehaus. Auch Hedda ist gespalten, sie sehnt sich nach Freiheit und Unabhängigkeit, will die Sicherheit andererseits aber nicht aufgeben. Doch beides passt nicht zusammen.

Die Bühne von Ausstatterin Kathrin Kemp arbeitet dieser inneren Spaltung. «Der Raum ist wie ein von Anderen gemachter Ort für Hedda. Ein Ort, an dem sie aber unfrei ist und der wenig mit ihr zu tun hat.» Es ist die Welt des Stückes Hedda Gabler, die im Kleinen Haus entsteht. Eine Welt, in der sich Hedda jedoch fremd fühlt und in der sie nicht leben kann. Eine Welt, die sich andere aneignen. «Die Kolonialisierung der Frau ist in diesem Stück in vollem Gange. Glücklicherweise ist unser Bewusstsein dafür mittlerweile gestärkt. Zu Ibsens Zeit war das noch anders. Die Fortschritte, die wir in Zwischenzeit gemacht haben, kann man erkennen. Aber auch die Fehler oder das, was noch fehlt.» (Thomas Oliver Niehaus)

Aktueller denn je
«Wir sind jetzt an einem Punkt – über Hedda weit hinausgehend – wo die Gesellschaft irgendwann implodieren wird, weil sie diese Kräfte nicht mehr aushält», so Niehaus. Das Interessante im Theater ist für Niehaus, der auch viele Klassiker inszeniert hat, dass diese Institution auch dafür da ist, uns mit unserer Geschichte in Verbindung zu halten und das ins Heute zu verlängern und womöglich auch ins Morgen. «Texte saugen sich voll mit Gegenwart, sobald man sie live im Theater hört und darbietet. Dieser Prozess, den Theater anstößt, ist ein komplexer und dialektischer. Nur wenn ich Gegenwart in Bezug zur Vergangenheit setze, kann ich etwas über die Zukunft sagen.» Theater ist eine Kunstform, die genau in diesem dialektischen Raum spielt. «Theater ist immer jetzt. Es ist live. Die Zuschauer sind auch live. Sie bringen ihre Stimmung, ihre Gegenwart mit und wenn auf der Welt etwas passiert, fühlt sich das Stück anders an.»

aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel

INSZENIERUNG Thomas Oliver Niehaus
BÜHNE & KOSTÜME Kathrin Kemp
DRAMATURGIE Peter Hilton Fliegel
HOSPITANZ BÜHNE & KOSTÜM Mirjam Miller, Viktoria Schilcher
ASSISTENZ & INSPIZIENZ Jens Bache
SOUFFLAGE Birgit Ermers

Jørgen Tesman                             Marc Vinzing
Frau Hedda Tesman                    Marsha Zimmermann
Fräulein Juliane Tesman          Isabel Zeumer
Frau Elvsted                                   Sibylla Rasmussen
Richter Brack                                Frank Auerbach
Eilert Løvborg                             Henning Bäcker

Die nächsten Termine:  23.11.2022 / 08.12.2022 / 15.12.2022 / 22.12.2022

 

 

 

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