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Sommerblut trotz(t) Corona: Kölner Festival der Multipolarkultur wird nicht abgesagt!

8. bis 24. Mai 2020

Gute Nachrichten aus dem Kulturbereich hört man aktuell selten, doch das Kölner Festival SOMMERBLUT hat jetzt angekündigt, trotz der Coronavirus-Pandemie vom 8. bis 24. Mai stattzufinden. Zumindest für die sechs Eigenproduktionen und einige Gastspiele haben die Macherinnen und Macher kreative und weitgehend digitale Umsetzungsformen entwickelt.

Copyright: Sommerblut-Festival, Festivalleiter Rolf Emmerich

Dabei wird u.a. live in eine Senior*innen-Residenz geschaltet, mit Avataren gearbeitet und ein Hörspiel entwickelt. Aus Physical Theatre wird ein Film und zur politischen Diskursverschiebung durch die AfD soll es dann eine interaktive audio-visuelle Website geben. Die Grenze zwischen Zuschauer*innen und Darstellenden soll an vielen Stellen verschwimmen.   

"Wir lassen uns von diesem Virus nicht einschüchtern", so SOMMERBLUT-Festivalleiter Rolf Emmerich. Man werde nun demonstrieren, wie sich Kultur auch während eines Lockdowns und ohne physisch anwesende Zuschauer*innen spannend umsetzen lässt. Die jetzt im Schnelltempo umgesetzte Digitalisierung sei schon vorher Thema des diesjährigen Festivals gewesen, das unter dem Motto "Zukunft" steht. "SOMMERBLUT greift positive wie negative Zukunftsvisionen auf, aber eine so traurig-dystopische Entwicklung wie mit dem Coronavirus haben auch wir nicht vorhergesehen".

Dennoch wirkt das Programm teils wie auf die aktuelle Krise zugeschnitten. So wird im Jugendtheater-Projekt "14,2 x 3,4 x 5,5" von Oleg Zhukov, das offline stattfindet, in gewisser Weise die aktuelle Social Distancing-Thematik aufgegriffen. Wie reagieren Menschen (aufeinander), wenn sie auf engem Raum isoliert werden - zuhause mit der Familie oder mit Fremden in einem Bunker? Der Titel des Stücks beschreibt die Abmessungen eines solchen Raumes und die Umsetzung als Solo-Audiowalk durchs Kölner Agnesviertel versucht nicht zuletzt ein Gefühl von Befreiung zu vermitteln.    

Das vermutlich spannendste SOMMERBLUT-Stück heißt Damengedeck 2.0, bei dem die 70- bis 90-jährigen Bewohnerinnen der (Senior*innen-)Residenz am Dom im Mittelpunkt stehen. Also genau die Personengruppe, die am stärksten durch das Virus gefährdet ist. Die Frauen bilden nun eine Art Zukunftslabor, das ihre reichhaltigen Lebenserfahrungen mit Krieg, Nationalismus und Chauvinismus in eine positive Zukunftsvision einfließen lässt. Jede*r Zuschauende bekommt dazu ein Paket zugeschickt, das den direkten Kontakt ermöglicht und der Produktion eine haptische Ebene hinzufügt. SOMMERBLUT bildet hier per live gestreamter Zoom-Videokonferenz einen der wenigen Außenkontakte für die dort stark isoliert lebenden Bewohner*innen. "Dabei war uns besonders wichtig, alle behördlichen Auflagen einzuhalten und die Gesundheit aller Beteilig- ten zu schützen", so Projektleiterin Hanna Behr. Sowohl die Proben als auch der interaktive Livestream finden deshalb streng getrennt in den jeweiligen Privaträumen per Webcam statt.   

In "Der Mensch von morgen" soll die andere Hochrisikogruppe zu Wort kommen: chronisch kranke Menschen. Unter der Regie von Gregor Leschig prallen hier Cyberspace und reale Theaterwelt aufeinander, auch wenn sich das physische Aufeinandertreffen von jungen Geflüchteten auf die Vorerkrankten nicht wie geplant umsetzen lässt. Im Kirchenraum von St. Gertrud sollen jedoch einzelne Szenen, Choreographien und Projektionen in einer Werkschau präsentiert werden. Die virtuellen Avatare der Darsteller*innen treffen dabei auf ihr zukünftiges Ich. Und können vielleicht "berichten" wie die aktuelle Krise ausgegangen ist.

Auch die von Leschig inszenierte Eröffnungsveranstaltung von SOMMERBLUT am 8. Mai muss ohne physisch anwesendes Publikum auskommen und wird virtuell mit Liveschaltungen zu diversen Künstler*innen des Festivals stattfinden. Die Moderation hat der bekannte Berliner Rapper Graf Fidi übernommen, der dafür extra nach Köln anreisen wird.

Geballte Frauenpower bietet "We are here to stay" von Ana Valeria Gonzalez. Ihr feministisches Stück beleuchtet die zukünftige Rolle von Frauen in der Gesellschaft, die aktuell als Krankenschwestern, Erzieherinnen und Homeschoolerinnen die Welt trotz Corona am Laufen halten. Die ursprünglich als Narrative Walk in einem Labyrinth geplante Produktion wird Frauen unterschiedlicher Herkunft, Hautfarbe und sexueller Orientierung zeigen und wird jetzt als Hörspiel/Radiosendung produziert.

In der nun virtuellen und weiterhin inklusiven Mehrgenerationen-WG von "future x - society lab" geht es um die Weiterentwicklung der Gesellschaft, im Zwiespalt von jetziger Wohlstands- bewahrung und langfristiger Überlebensfähigkeit. "Gilt der Generationenvertrag noch?", fragen die Macher*innen der KimchiBrot Connection und haben aus ihrem Physical Theatre-Projekt kurzerhand einen 40-minütigen Film mit anschließendem virtuellen Publikumsgespräch gemacht. 

Inklusiv - wie von SOMMERBLUT gewohnt - geht es auch in "Durch Nacht zum Licht" weiter. Als Beitrag zum Beethoven-Jahr begeben sich zwei taube Gebärdensprachpoet*innen und zwei Instrumentalist*innen auf eine musikalische Zeitreise und Hommage an den berühmten Komponisten, der selbst in jungen Jahren sein Gehör verlor. Michaela Caspar und ihr Ensemble wollen dabei neue Erlebnisräume schaffen und das Vorhandensein von Barrieren für hörende und nicht hörende Menschen deutlich machen.  

"Unser Festival der Multipolarkultur hat sich schon immer Barrierefreiheit auf die Fahnen geschrieben", erklärt die Inklusionsbeauftragte Mechthild Kreuser, "aber so viele Barrieren wie dieses Jahr mussten wir noch nie beiseite schieben". Coronabedingte Spielstättenschließungen, behördliche Veranstaltungsverbote und der über allem stehende Gesundheitsschutz für alle Beteiligten. "Und natürlich bemühen wir uns weiterhin um weitestmögliche Barrierefreiheit im klassischen Sinn", so Kreuser. In einigen Stücken seien Menschen mit Behinderung auch künstlerisch integriert.

"Viele der ursprünglich geplanten Gastspiele werden dieses Jahr wohl nicht stattfinden können", berichtet die künstlerische Leiterin von SOMMERBLUT, Anna-Mareen Henke. Optimistisch ist sie jedoch bei der Produktion “Touchdown21 mini”, die der Frage nachgeht, wie Menschen mit Downsyndrom sich ihre Zukunft vorstellen und dabei zum Mitdenken und Mitfühlen einläd

An Letzteres appellieren die SOMMERBLUT-Macher*innen auch mit ihrem Spendenaufruf auf www.sommerblut.de, denn auf zugesagte Fördergelder privater Stiftungen und Anzeigenerlöse des Programmheftes kann man sich dieses Jahr nicht zu 100% verlassen. Auf der Homepage des Festivals wird tagesaktuell über die stattfindenden Termine informiert.

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