Der Gedanke an Rache gärt nun schon seit 3 Jahren, 6 Monaten und 22 Tagen in Dr. Falke, hängt ihm doch seit genau dieser Zeit der Name eines anderen Flattertiers, der Fledermaus, als Spitzname an – verliehen von der ganzen Stadt – just seit dem Morgen, als die beiden Freunde Falke und Eisenstein, von einer wilden Party kommend, ihren Kater auf der Straße auszuschlafen gedachten, Eisenstein
vor dem Freund erwachte und Falke in unvergesslich blamabler Pose den Augen aller Passanten überließ.
Zu Beginn der Operette ist es nun aber Eisenstein, der sich in misslicher Lage befindet. Aus seinen 5 Tagen Arreststrafe, die er für den tätlichen Angriff auf einen Gerichtsdiener absitzen soll, sind soeben 8 Tage geworden ... Ein Umstand, der ihn zwar erbittert, seine Frau Rosalinde jedoch nur scheinbar zerknirscht, ist doch ihr einst abgelegter Liebhaber Alfred gerade wieder aufgetaucht und beansprucht ihre ganze Aufmerksamkeit. Und auch Eisenstein kann leicht getröstet werden, denn Dr. Falke kündigt ihm im Geheimen eine Abendunterhaltung an, die ihm den am nächsten Morgen anzutretenden Gefängnisaufenthalt zu einer Nebensächlichkeit werden lässt.
Orlowsky, ein reicher Russe, lädt zu einer großen Party ein. Dort offenbart sich, was die Gesellschaft zusammenhält: Verstellung und Rollenspiel, vermeintlich vornehme Herrschaften, wo man nur hinsieht. So hat sich etwa das Stubenmädchen der Eisensteins – Adele – unter die exquisiten Gäste gemischt und trifft, als angebliche Künstlerin, auf ihren Arbeitgeber, der als Marquis Renard seinerseits unwissentlich die Bekanntschaft seines künftigen Zerberus, des Gefängnisdirektors Frank alias Chevalier Chagrin macht. Den Höhepunkt der Ballnacht markiert schließlich das Erscheinen einer ungarischen Gräfin, die für den baldigen Arrestanten Eisenstein eine verlockende Beute für die Nacht zu sein verspricht. Doch da hat er die Rechnung ohne seinen besten Freund Dr. Falke gemacht … Dem unbändigen Rausch folgt die Ernüchterung des nächsten Morgens und die Einsicht: „Champagner hat’s
verschuldet …“
Angeregt durch Jacques Offenbach und sein die eigene Zeit und Gesellschaft erstmals direkt aufs Korn nehmendes Pariser Leben holte Johann Strauß 1874 mit seiner Operette Die Fledermaus zu einem so amüsanten wie bissigen Rundumschlag gegen eine durch und durch vergnügungssüchtige Gesellschaft aus. Richard Genées Libretto entwirft ein so lebensnahes wie abgründiges Leichtsinnspanorama an dekadenten Figuren und Situationen, das wegen seiner Ansiedelung in der damaligen finanzkrisengeschüttelten österreichischen Gegenwart voll treffender Schärfe und Brisanz war und dennoch auch heute noch ungebrochen gültig ist. Jeder betrügt jeden, koste es was es wolle. Am Ende breitet sich der Mantel des (gelegentlich vielleicht sogar heilsamen?) Verdrängens über alle Taten der vorherigen Nacht aus: „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist.“ Bis die nächste Party wieder bei Null beginnt.
So unvergänglich die dargestellte Gesellschaft, so unübertrefflich auch ihre musikalische Charakterisierung: Mit der Fledermaus gelang dem Walzerkönig Johann Strauß ein Meisterwerk musiktheatralischer Satire, das bis heute betörenden, ironisch-subversiven und mitreißenden Charme versprüht.
Text von Richard Genée nach der Komödie Le Réveillon von Henri Meilhac und Ludovic Halévy
In deutscher Sprache mit Übertiteln
(Uraufführung am 5. April 1874 im Theater an der Wien)
MUSIKALISCHE LEITUNG Marc Reibel/Ingo Ingensand/Daniel Spaw
INSZENIERUNG Adriana Altaras
BÜHNE Christoph Schubiger
KOSTÜME Yashi Tabassomi
CHOREOGRAFIE Agata Moll, Gabriel Wanka
CHORLEITUNG Georg Leopold
DRAMATURGIE Julia Zirkler
Gabriel von Eisenstein Jacques le Roux / Matthäus Schmidlechner
Rosalinde, seine Frau Sonja Gornik / Brit-Tone Müllertz
Adele, Stubenmädchen Elisabeth Breuer / Gotho Griesmeier
Dr. Falke, Psychiater Seho Chang / Victor Sicard
Dr. Blind, Advokat Sven Hjörleifsson / Hans-Günther Müller
Frank, Gefängnisdirektor Franz Binder / Horst Lamnek
Prinz Orlofsky Katerina Hebelkova / Martha Hirschmann
Alfred, Tenor Iurie Ciobanu / Sven Hjörleifsson / Pedro Velázquez Díaz
Iwan, Orlofskys Leibwächter Boris Daskalov / Csaba Grünfelder
Frosch, Justizbeamter Gernot Kranner / Reinhold G. Moritz
Ida, Adeles Schwester Martina Fender / Ilia Vierlinger
Orlofskys Personal Lara Almonem, Anna Lis, Agata Moll / Olga Swietlicka /
Ewa Wilisowska; Luis Gonzaga Hoyos Escobar, Gabriel Wanka
Chor des Landestheaters Linz
Bruckner Orchester Linz