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DEM VOLKSTÜMLICHEN VERBUNDEN -- Zweiter Teil des Tschaikowsky-Zyklus' mit dem Staatsorchester Stuttgart in der Liederhalle/STUTTGARTDEM VOLKSTÜMLICHEN VERBUNDEN -- Zweiter Teil des Tschaikowsky-Zyklus' mit dem...DEM VOLKSTÜMLICHEN...

DEM VOLKSTÜMLICHEN VERBUNDEN -- Zweiter Teil des Tschaikowsky-Zyklus' mit dem Staatsorchester Stuttgart in der Liederhalle/STUTTGART

am 15.7.2024 im Beethovensaal

Das Staatsorchester Stuttgart musizierte unter der elektrisierenden Leitung von Cornelius Meister im zweiten Teil des Tschaikowsky-Zyklus zunächst die selten zu hörende Sinfonie Nr. 2 in c-Moll aus dem Jahre 1872, die den Beinahmen "die Ukrainische" oder "Kleinrussische" erhielt. Sie besitzt eine deutliche Nähe zur Volksmusik und zur Folklore, was Cornelius Meister sehr gut herausarbeitete.

 

Copyright: Sebastian Mare: Cornelius Meister

Echte symbolische Züge besaß allerdings nur der erste Satz, die drei übrigen erinnerten formal eher an eine Suite. Das marschartige Andante und das überaus burleske Scherzo wurden trotz ihrer Herbheit mit glühender Leidenschaft musiziert. Der erste Satz mit seinem Wolgalied baute sich über einem rhythmisierten Hauptgedanken und einem lyrischen Seitensatz in eindrucksvoller Weise auf. In der Durchführung imponierte der kontrapunktische Zauber des Wolgaliedes. Es beschloss diesen Satz als leise Erinnerung sehr eindringlich. Das C-Dur- Finale besaß mitreissende Schwungkraft, das ukrainische Volkslied "Der Kranich" verzauberte dabei die Zuhörer aufgrund seiner fast hypnotischen Kraft. Die Passacaglia baute sich fast majestätisch auf. Dann folgte die Steigerung zu einer atemlosen Stretta. Cornelius Meister betonte mit dem Staatsorchester Stuttgart in hervorragender Weise den optimistischen und energischen Charakter dieses Werkes.

Danach folgte eine aufwühlende Wiedergabe der Sinfonie Nr. 6 h-Moll op. 74 "Pathetique" von Peter Tschaikowsky. "Auf sie bin ich stolzer als auf irgendeine meiner anderen Kompositionen", sagte Tschaikowsky übrigens über dieses Werk, das er wenige Tage vor seinem Tod am 28. Oktober 1893 dirigierte. Cornelius Meister stellte die Akzente dieser erschütternden Musik mit dem exzellent musizierenden Staatsorchester Stuttgart überaus packend heraus. In ausladenden Tempi konnten sich die fulminanten dynamischen Steigerungen immer wieder in imponierender Weise entfalten. Düster und suchend begann der von leidenschaftlichem Gefühl getragene erste Satz mit einer Klage des Fagotts, aus der sich das erregte, drängende erste Thema des Allegro non troppo markant entwickelte. Die Zerrissenheit Tschaikowskys trat dabei deutlich hervor, was sich auch beim zweiten Thema  mit dem Schmerz der Liebe und mildem Verzicht zeigte. Trost und Qual glühten in diesem Gesang auf, den die Streicher des Staatsorchesters mit  wunderbarer Intensität musizierten. Die Reprise enthüllte nochmals den Charakter eines Unglücklichen zwischen Fluch und Seligkeit.

Ein leidenschaftlicher Aufschrei des Orchesters führte dann in die Durchführung. Aus dem dämonischen Wirbel dieser Themen löste sich der unheimliche Choral der altrussischen Liturgie. Nach gewaltigen Fortissimo-Steigerungen erschien dann als Coda ein milder Choral der Posaunen. Nach diesem Bekenntnis suchte der Musiker im gedämpften Stimmengewirr des Salons Vergessen, wobei Cornelius Meister diese Stimmung beim Allegro con grazia nicht übertrieb. Mit seinem Fünfer-Rhythmus wirkte dieser Satz bei dieser konzentrierten Wiedergabe keineswegs so friedlich und heiter, wie es auf den ersten Blick schien. Das Thema erhielt den Anschein von trügerischem Luxus. Geheimnisvoll und wirblig hob dann der dritte Satz, Allegro molto vivace, an, wobei die Oboe fast keck auf das elektrisierende Marschthema anspielte. Dieses Thema hob sich immer bedeutungsvoller heraus, rannte alle Widerstände nieder und triumphierte mit überaus schmissiger Verve. Der letzte Satz erschütterte die Zuhörer als ergreifender Klagegesang eines vom Tode Gezeichneten. Dieses leidenschaftliche Adagio lamentoso war schmerzlicher Rückblick und Abschied zugleich. Die symbolhaften Beziehungen zum ersten Satz waren hier deutlich erkennbar. Die Tonfolgen der beiden Hauptthemen sanken hinab in das Dunkel der Verzweiflung, was Cornelius Meister mit dem Staatsorchester in ausgezeichneter Weise herausarbeitete. Versöhnliche Zuversicht fehlte bei dieser bemerkenswerten Interpretation aber auch nicht.

Jubel und Riesenapplaus. Dieses Konzert wurde umrahmt von einem kurzen Auftritt des Sinfonieorchesters des Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums, das zusammen mit dem Staatsorchester Stuttgart unter Cornelius Meister neben Danzon Nr. 2 von Arturo Marquez noch Edvard Griegs "Peer-Gynt-Suite" Nr. 1 op. 46 glutvoll musizierte. Im Anschluss spielte noch die Jazzband des Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums im Foyer.
 

 

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