Diese fatalen Gegensätze sind in der Musik deutlich zu hören - zwischen chromatischen Finessen erfährt der Hörer, dass die Kreide einfach weggeworfen wird. Aber eines der Kinder hebt sie auf, um mit ihr auf dem Asphalt Schlösser, Gärten, das Meer und die Sonne zu malen. Die farbenreiche Instrumentierung mit Flöten, Klarinetten, Bassklarinette, Marimbaphon, Vibraphon, Becken, Harfe, Klavier und differenziert aufgefächerten Streichern schuf auch im Beethovensaal der Liederhalle ein dicht gestricktes Klangpanorama, das in dreifachem Pianissimo ausklang.
Hervorragend musizierte der französische Geiger Renaud Capucon dann mit dem SWR Symphonieorchester das zwischen Bruch und Mendelssohn Bartholdy stehende Konzert für Violine und Orchester d-Moll op. 8 von Richard Strauss, dessen filigrane Kantilenen wirklich unter die Haut gingen. Intervallsprünge und reiche thematische Verzierungen stachen immer wieder leuchtkräftig hervor - und der Solist konnte mit virtuosen Kunststücken in ausgezeichneter Weise glänzen. Aus der dunkel-magischen Einleitung entwickelt der 17jährige Richard Strauss ein wahres Feuerwerk von verschiedenen Motiven und rasanten Einfällen. Wagner bleibt in der Harmonik deutlich spürbar. Und der nervösen Klangfantasie wurde Renaud Capucon sehr überzeugend gerecht. Das Verhältnis der Themen zueinander wurde minuziös ausgelotet - und auch die feine dynamische Differenzierung im Orchester fehlte nicht. Selbst lyrische Kontrastmotive kamen nicht zu kurz. Die Melodik wurde vom Solisten in gekonnter Weise stilistisch aufgelockert. Mitreissender Schwung und Glanz machte sich vor allem im Finale bemerkbar. Als Zugabe spielte Renaud Capucon noch sehr ausdrucksvoll die "Daphne"-Etüde von Richard Strauss.
Höhepunkt des Konzerts war dann die im Jahre 1919 entstandene Sinfonie Nr. 5 in Es-Dur op. 82 von Jean Sibelius, wobei die knapp und streng verarbeiteten Themen deutlich hervorstachen. Es gibt noch eine frühere Fassung dieses Werkes, das Sibelius überarbeitet und gestrafft hat. Diese Schlussfassung ist deutlich überzeugender und besser. Bei aller Gelöstheit war auch die spieltechnische Präzision hier immer spürbar. Dass der erste Satz aus drei Teilen besteht, merkte man bei dieser Wiedergabe sofort. Die Moderato-Einleitung und der Largamente-Einschub machten sich in geheimnisvoller Weise bemerkbar. Auch das scherzoartige Allegro moderato besaß erfrischenden Zugriff. Leidenschaftliche Ausbrüche wechselten sich bei dieser Interpretation immer wieder mit unruhigem Suchen ab, ein eindringlicher Fagott-Monolog meldete sich unter dem Streicher-Teppich und leitete zum pathetischen Largamente hinüber. Das tänzerische Allegro-Thema wanderte dann zwischen den Instrumentengruppen hin und her, verwandelte sich klangfarblich und forderte Erwiderungen der Trompete und der elegischen Oboe forsch heraus. Unaufhaltsam steigerte sich der Lauf bis zu ungezügelt-urwüchsiger Gewalt - angestachelt von einem machtvollen Trompetenmotiv. Die Banalität des rhythmisch betonten Themas im zweiten Satz betonte die Dirigentin Eva Ollikainen nicht übermäßig. Doch der Zauber der souverän aufgebauten Passacaglia machte sich bald bemerkbar. Bis zum hymnischen Ausklang kam es zu verblüffenden Steigerungen. Das Finale, Allegro molto, steigerte sich in ähnlicher Weise. Das in den Celli aufsteigende Streicherthema arbeitete Eva Ollikainen mit dem SWR Symphonieorchester ergreifend heraus. In den Holzbläsern trat das zweite Thema nach einer Beruhigung umso eindringlicher hervor. Noch einmal setzte sich das erste Thema in den Streichern durch - dann gewann das zweite die Übermacht. In lyrischer Breite steigerte sich das ganze Orchester zur majestätisch-erhabenen Größe des Schlusses. Alles wirkte wie ein großes und faszinierendes Mosaik.
Begeisterter Schluss-Applaus, "Bravo"-Rufe für die finnische Dirigentin, wobei zum ersten Mal eine Frau am Pult des Orchesters stand. Im Foyer spielten Musiker des SWR Symphonieorchesters im Anschluss beim "Ausklang" noch sehr erfrischend und virtuos die beiden Sätze Scherzo und Finale aus dem Bläseroktett von Carl Reinecke.