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IM BAUCH DES RITTERS -- "Falstaff" von Giuseppe Verdi in der Blauen Halle - Mainfrankentheater Würzburg

am 21. Juli 2024

In der einfallsreichen Inszenierung von Magdalena Fuchsberger (Bühnenbild und Kostüme: Monika Biegler, Video: Aron Kitzig) befindet sich die Handlung im Bauch des alternden Ritters Falstaff, der von chronischen Geldsorgen geplagt wird. Man sieht einen Mund mit riesigem Gebiss, der in einen Schlund führt. Alles wird mit einem ironischen Blickwinkel betrachtet, der originell ist. Das Geschehen soll so wohl verschlungen werden. Sir John Falstaff beschließt, zwei wohlhabenden Damen gleichzeitig den Hof zu machen - nämlich Alice Ford und Meg Page. Er möchte sie mit seinem Charme dazu bringen, ihm Geld zu geben.

 

Copyright: Nick Schölzel

Er schreibt den Damen allerdings identische Liebesbriefe, obwohl diese miteinander befreundet sind. Das Verwirr- und Versteckspiel wird bei dieser temperamentvollen Inszenierung rasch auf die Spitze getrieben. Denn beide Damen haben die Absichten des Schwerenöters durchschaut. Gemeinsam mit Alices Tochter Nannetta und  der befreundeten Mrs. Quickly möchten sie Falstaff deswegen eine Lektion erteilen. Quickly wird dann als Liebesbotin mit der Nachricht zu Falstaff geschickt, Alice und Meg seien an einem Rendezvous interessiert. Allerdings erfährt Alices eifersüchtiger Ehemann Ford von dessen Absichten und ist entschlossen, seinen Konkurrenten als "Signor Fontana" zur Strecke zu bringen. Er stattet diesem einen Besuch ab und bittet ihn, Alice zu verführen. Falstaff nimmt an, weil ihn ein üppiges Geldgeschenk gefügig macht.

Magdalena Fuchsberger gelingt es bei ihrer Inszenierung überzeugend, das intrigante Verwirrspiel auch psychologisch genau zu zeichnen. Der vor Eifersucht rasende Ford weiß nun nicht mehr, was Traum und Wirklichkeit ist. Nannetta und Fenton träumen von ihrer Liebe und einer gemeinsamen Zukunft, obwohl Vater Ford seine Tochter lieber mit Dr. Cajus verheiraten möchte. Nachdem auch das Rendezvous mit Alice eskaliert und Falstaff schließlich mit der Wäsche im Fluss landet, beklagt er die Schlechtigkeit der Welt. Mrs. Quickley lockt Falstaff erneut zu einem Rendezvous mit Alice. Alle verabreden sich nun als Geister und Feen, um Falstaff einen Spuk vorzuspielen.

Im dritten Akt hat Magdalena Fuchsberger das Bühnenbild stark verändert. Man sieht eine zunächst kahle Bühne mit Vorhängen, wo nach und nach der Mond in geheimnisvoller Weise aufgeht. In diesem Mond befindet sich außerdem ein wachsames Auge, das alles beobachtet. Zudem sind Ansätze einer seltsamen Tropfsteinhöhle zu erkennen. Nannetta und Fenton schwören sich erneut ihre Liebe. Der in seinem Versteck entdeckte Falstaff wird nun von allen gepeinigt und die Situation gerät außer Kontrolle. Falstaff fragt die Leute, wer eigentlich der Gehörnte sei. Auch die Schlussfuge gestaltet Fuchsberger höchst ironisch und mit rhythmisch-tänzerischen Einlagen des gesamten Ensembles: "Alles ist Spaß  auf Erden, der Mensch ein geborener Tor". Inszeniert ist dieser rein bühnenbildnerisch weniger überzeugende dritte Akt als "Oratorium der Boshaftigkeit", was man auch auf den Schrifttafeln sieht.

Für Magdalena Fuchsberger ist der Humor in Verdis "Falstaff" ganz schwarz und pessimistisch, fast nihilistisch. Trotz des pessimistischen Blicks betont sie, dass die Menschen zwar schlecht sind, aber das Leben im Sinne von "La vita e bella!" doch schön ist. Entsprechend optimistisch wirkt in dieser Inszenierung das Ende dieser Oper. Opernchor und Extrachor des Mainfrankentheaters Würzburg (Leitung: Sören Eckhoff) sowie das Philharmonische Orchester Würzburg unter der forschen Leitung von Enrico Calesso bieten bei dieser insgesamt sehr rasanten und nahezu atemlosen Aufführung eine packende Leistung.

Die kunstvolle Verschmelzung von Arioso und Parlando gelingt vor allem dem herausragenden Bass-Bariton Siyabulela  Ntlale als Sir John Falstaff, der alle Register zieht. So kommt der Charakter der Opera buffa nicht zu kurz. Auch die anderen Sängerdarsteller lassen die Beschwingtheit der Diktion nicht zu kurz kommen. Leo Hyunho Kim als Alices Ehemann Ford kann seinen Verwandlungsprozess auch gesanglich überzeugend meistern. Die koloristischen Reize werden von den weiteren Sängerinnen und Sängern Roberto Ortiz als Fenton, Yong Bae Shin als Dr. Cajus sowie Matthew Habib und Gustavo Müller als Falstaffs Diener Bardolfo und Pistola virtuos und filigran ausgelotet. Dazu passen denn auch die nuancenreichen Einlagen des Orchesters. Vera Ivanovic als Mrs. Alice Ford, Milena Arsovska als deren stimmlich immer wieder aufblühende Tochter Nannetta, Barbara Schöller als Mrs. Quickly sowie Vero Miller als Mrs. Meg Page schwelgen nahzu in leidenschaftlichen melodischen Entfaltungen. Reinhold Stauder und Claudia Bienek zeigen als Diener und Wirtin ebenfalls komödiantische Kunst.

Der polyphone und kontrapunktisch reiche Zauber von Verdis kunstvoller Partitur ist bei Enrico Calessos zupackend-elektrisierendem Dirigat überall zu spüren. Der Librettist Arrigo Boito hat Teile von Shakespeares "Heinrich IV." ja auch geschickt in die Handlung eingeführt. Diese "Commedia lirica" beginnt bei Calesso deswegen auch laut und krachend im C-Dur-Fortissimo, das die zur Zeit Heinrichs IV. in England spielende Handlung fulminant eröffnet. Thematische und satirisch zugespitzte Querverweise dieser Partitur werdem vom Dirigenten minuziös herausgearbeitet. Auch die Klagen des von Falstaffs Bediensteten beraubten Dr. Cajus werden mit schrillen Motiven auf die Spitze getrieben. Wie Falstaff hier alle ins Leere laufen lässt, wird von der Regie grell überzeichnet. Es ergeht Falstaffs Mahnung, mit Anstand und zur rechten Zeit zu stehlen: "Rubar con garbo e a tempo". Siyabulela Ntlale intoniert als Falstaff diese Mahnung im scharfen dynamischen Kontrast leise und mit einer kurzen kantablen Phrase, die über einem Septsprung im f gipfelt.

Das Buffa-Geplapper des Ensembles sticht ebenfalls immer wieder leuchtkräftig hervor. Reizvoll gestaltet werden außerdem Fords und Falstaffs Rollenspiel mit knappen melodischen Wendungen und Aufschwüngen. Vorgetäuschte Gefühle werden so passend gestaltet. Fentons und Nannettas Liebesschwüre gelingen klanglich ätherisch und nahezu schwebend. Und die Buffa-Fuge des Schluss zeigt alle klangfarblichen Reize von Verdis meisterhafter Partitur.

Zuletzt großer Jubel und viele "Bravo"-Rufe.
 

 

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