Hier wird die moderne Gesellschaft kritisiert, die bereit ist, ihre eigene Identität oder Seele im Austausch für ewige Jugend hinzugeben. Die Schnelllebigkeit des modernen Lebens führt zu einem Zustand ständiger Sättigung und Vergänglichkeit. Das Leben von Faust ist hier Mahnung und Inspiration zugleich, wenn er im Rollstuhl den ständigen Verführungskünsten Mephistos erliegt. Tänzerisch wird das unglaublich spannend und überzeugend umgesetzt. Die Frage, wer wir wirklich sind und welche Konsequenzen unsere Wünsche haben können, steht zentral im Raum. Die grandiose Bühne von Marko Japelj zeichnet eine unheimliche Himmelslandschaft nach, die sich ständig verändert. Und die Kostüme von Leo Kulas tragen dem ebenfalls Rechnung.
Das Stück beginnt in gespenstischer Nacht, wo Doktor Heinrich Faust als gelehrter Wissenschaftler von dunklen Engeln heimgesucht wird. Er beschließt, sich das Leben zu nehmen, wird jedoch durch eine himmlische Erscheinung gerettet. Eine starke Szene ist ferner "Faust und die Studenten", wobei Fausts Assistent Wagner ihn zu seinen Studenten zurückführt, um das Geheimnis des Lebens zu ergründen. Die Bildfolgen verdichten sich in eindrucksvoller Weise. Auf der Straße misslingt dann Mephistos erster Versuch, sich Faust zu nähern. Der Rausch der Osterfeierlichkeiten und einer Auferstehungsprozession wird von den Tänzern in subtiler Weise beschworen, in Gestalt eines schwarzen Pudels verschafft sich Mephisto Zutritt zu Fausts Zimmer.
Bei der Aushandlung des Vertrags mit Mephisto drängt sich das Bild eines Mädchens in Fausts Seele, was ebenfalls tänzerisch eindringlich gestaltet wird. Der Preis des teuflischen Vertrages ist Fausts Seele. In der Hexenküche wird Faust dann eine zweite Jugend geschenkt, auf der Bühne geschieht eine unheimliche Verwandlung. In Gretchens Zimmer kommt sie Faust näher. In "Marthes Garten" entpuppt sich Marthe Schwerdtlein als raffinierte Verführerin. Es erklingt auch Marlene Dietrichs berühmtes Lied "Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt" aus dem Film "Der blaue Engel". Grandios ist die Szene mit Gretchens Bruder Valentin, der Faust wegen des Verhältnisses zu Gretchen zum Duell herausfordert. Dabei wird Valentin getötet.
Es kommt zu einem fesselnden Auftritt mit einer ganzen Schwertgruppe, die das Auge betört. Schließlich ertränkt Gretchen in der "Wasser"-Szene das von Faust empfangene Kind, bricht verzweifelt zusammen. Auch der Besuch der "Walpurgisnacht" hinterlässt in dieser Choreografie eine beklemmende Wirkungskraft. Faust will Gretchen vor der Hinrichtung retten, doch Gretchen legt ihr Schicksal in Gottes Hand. Diese letzte Passage wird in ihrer ganzen Rätselhaftigkeit und visionären Kraft ausgeleuchtet. Rhythmische Prozesse nehmen in dieser Produktion eine zentrale Rolle ein. Sie bilden eine immer größer werdende Spirale, die durch virtuose Sprungtechnik ergänzt wird. Es ist ein nie graziöser Tanz ohne einfühlsamen Pas de deux, der zuweilen sogar robust wirkt.
Jubel des Publikums.