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BESEELUNG MECHANISCHER BEWEGUNGEN -- Les Ballets de Monte-Carlo im Forum am Schlosspark Ludwigsburg

am 17. Mai 2024

Les Ballets de Monte-Carlo gastierte mit Jean-Christophe Maillots "Coppel-I.A." in Ludwigsburg. Die Uraufführung fand 2019 im Grimaldi Forum in Monaco statt. Die Geschichte von Leo Delibes' "Coppelia" geht auf E.T.A. Hoffmanns gruselige Erzählung "Der Sandmann" zurück. Es geht um den verrückten Erfinder Coppelius, seine mechanischen Puppen und ein Liebespaar. Zum Zwecke virtuoser Tänze hatte man die Abgründe der Vorlage gestrichen. Maillot hat auch an die Erzählung "L'Eve Future" von Auguste Villiers de l'Isle Adam gedacht, in der die Geschichte von Coppelia in einer faustischen Dimension erzählt wird. Roboter und Androiden sind plötzlich Wirklichkeit geworden, "Künstliche Inelligenz" lautet das Motto.

 

Copyright: Alice Blangero

Die französische Version "Intelligence artificielle" taucht nun in Jean-Christophe Maillots moderner Adaption auf, die aber trotzdem sehr mystisch und unergründlich wirkt. Das liegt auch an der suggestiven Musik von Bertrand Maillot, der Leo Delibes' Klassiker raffiniert bearbeitet hat. Ein künstlicher Mensch entwickelt hier seinen eigenen Willen. Und so kehrt in "Coppel-I.A." das Unheimliche und Dämonische in gleissendem Licht zurück. Die Bühne von Aimee Moreni (die auch für die Kostüme zuständig ist) wirkt mit ihren konzentrischen Kreisen durchaus futuristisch. Auch die Kostüme erinnern  an Science Fiction und  "Metropolis". Die Beseelung mechanischer Bewegungen nimmt Gestalt an. Dazu gehören auch raffinierte Schattenspiele, die an Murnau-Filme wie "Nosferatu" erinnern.

Im Prolog ist die Geburt der mechanischen Puppe "Coppel-I.A." zu sehen. Coppelius beobachtet als einsamer Wissenschaftler die künstliche Frau, deren Entwicklung er gefördert hat. Am Hochzeitstag stürmen Swanilda, Lennart und ihre Freunde herein.  Swanilda sprüht vor Freude, denn heute heiratet sie Frantz. In der zweiten Szene ist Coppelius bestrebt, "Coppel-I.A." menschlichere Züge zu verleihen, was die Tänzer kontrastreich umsetzen. Swanildas Mutter sorgt für einen pompösen Auftritt. Swanilda und ihre Freundinnen quälen "Coppel-I.A.". Als Coppelius mit der Puppe nach Hause gehen will, eilt diese zu Frantz. Coppelius erlaubt eine Annäherung zwischen Frantz und "Coppel-I.A."

Das dramaturgische Gewebe verdichtet sich. So kommt es zur Trennung von Swanilda. Frantz löst die Verlobung auf. Es herrscht Bestürzung über das geplatzte Hochzeitsfest. Der komplexe Beziehungsapparat wird von Jean-Christophe Maillot auf die Spitze getrieben. In Coppelius' Atelier sind dieser und die Puppe wieder angekommen. Coppelius ist wütend, weil er von "Coppel-I.A." nicht geliebt wird und verschwindet. Die künstliche Puppe ist allein und entdeckt plötzlich ihren Körper, was tänzerisch eindrucksvoll umgesetzt wird. Es kommt zu beseelten mechanischen Bewegungen. Swanilda, Lennart und ihre Freundinnen betreten das Atelier, werden jedoch von Coppelius vertrieben. Swanilda schlüpft nun in die Rolle von "Coppel-I.A.", was choreographisch sehr reizvoll umgesetzt wird. Das Ballett soll aber laut Maillot kein Urteil über künstliche Intelligenz sein.

In der Hoffnung, dass Frantz  das Herz von "Coppel-I.A." erobern wird, führt Coppelius ihn zu ihr. Frantz genießt die Zuneigung, während Coppelius eifersüchtig wird. Swanilda enthüllt jedoch ihre Identität, als die richtige "Coppel-I.A." wieder auftaucht. Coppelius' Zorn richtet sich nun gegen die Puppe, die er zerstört. Frantz und Swanilda lassen die gesamte Hochzeitsgesellschaft in Coppelius' Atelier zurück, die beiden heiraten schließlich doch. Coppelius erkennt das Ausmaß seines Versagens und wird von der künstlichen Puppe "Coppel-I.A." vernichtet. Sie kehrt zu neuer Energie zurück und befreit sich von ihrem gescheiterten Schöpfer.

Maillot kritisiert in seiner Arbeit vor allem die virtuelle Realität, die aber szenisch in vielen Schattierungen umgesetzt wird. "Coppel-I.A." ist hier tatsächlich nicht leblos, sondern ein eigenständiger Charakter. Sie lernt wie die anderen die Wahrheit kennen. Am Ende Riesenjubel für die gesamte Kompanie, die bei Delibes auch die Nähe zu Tschaikowsky betont.
 

 

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