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Wenn Theater zum Film wird

Uraufführung von Joseph Roths Roman „Hiob“ im Landshuter Stadttheater

Copyright: Peter Litvai

„Fromm und gewöhnlich“ ist Mendel Singer. Ärmlich wohnt er in einem russischen Dorf mit vier Kindern und seiner Frau Deborah, die er einst genoss, der er sich dann verschloss. Die Liebe zu verweigern war wohl die einzige Sünde dieses gläubigen Menschen. Nach der biblischen Geschichte „Hiob“ schrieb Joseph Roth den gleichnamigen „Roman eines armen Menschen“, holzschnittartig, Satz für Satz genau platziert, kein Wort zu viel.

Fasziniert vom Text bringt Stefan Tilch, Intendant des Landestheater Niederbayern, Stephan Roths „Hiob“ auf die Bühne: es ist, obwohl immer wieder in großen Häusern gespielt, eine Uraufführung, denn der Text wird nicht wie in der üblichen Tachelet-Version dialogisiert, sondern in erster Linie erzählt, eine Spielsequenz zu jedem der 17 Kapitel; ohne viel Worte, aber mit großer Emotion, tonal zwischen Poesie und Dissonanz mit Klavier, Violine, Klarinette und Perkussion untermalt. Wie beim Lesen eines spannenden Buches dringt man von der ersten Seite an ein in die Bilderwelt Hiobs, alias Mendel Singer, Prototyp eines von Leid geplagten Menschen, der in Amerika die Freiheit sucht, und sich doch nur wieder mit den alten Sorgen konfrontiert sieht. Er verliert seine Familie, hadert mit Gott. Mit der Rückkehr des in Russland zurückgelassenen epileptischen Sohnes Menuchim findet Mendel Singer seinen Glauben.

Das könnte schnell in die Langeweile, ins Pathetische abrutschen. Mitnichten. Durch Reduktion auf allen Ebenen kristallisiert sich wie im Roman allein schon durch Joseph Roths lakonische Sprachkraft das Wesentliche heraus. Durch die gelungene Symbiose von Video, Musik und Bühne verlebendigen sich die Sprachbilder: intensiv wie im Film, aber nicht auf glatter Oberfläche, sondern gespielt von Schauspielern vor Ort mit ungeheurer Authentizität, von Musikern (Leitung: Peter WesenAuer) mit großer Empathie für die Gefühle und Dissonanzen dieser Figuren, die zwar im Jiddischen verortet (Kostüme: Iris Jedamski, Maske: Christian S. Kurtenbach), aber überall denkbar sind. Nur ein bisschen Satire klingt an, im Land der Gigantonomie durchaus berechtigt und dem jiddischen Schalk geschuldet. Doch der Grundtenor bleibt biblisch ernst.

Karlheinz Beers karger Bühnenraum zeigt die Enge der Armut und des orthodoxen Denkens. Der zu schrubbende Holzboden wird groß projiziert zum Symbol für die Mühsal des Lebens. Die Rückwand nach hinten aufgeklappt weitet sich der Innenraum nach außen auf Taiga und Weizenfelder, später auf das Meer, die Freiheitsstatue, das Judenviertel in New York. Bühne, Projektion und Film verschmelzen zu großartigen Szenen.

Gebückt vor einem winzigen Bürokraten vor dem gigantischen Zarenporträt wird Menzel Singer zur kafkaesken Figur. Vor dem tosenden Meer hadert er wie einst Moses mit Gott. Schlurft um die Bühnenecke und läuft im Film durch die Straßen weiter, konterkariert so den amerikanischen Karrieretraum in stummfilmhafter Bedrückung. Im Traum verzerren sich seine nächsten Mitmenschen in Seifenblasen. Nicht die Taube, eine Möwe fliegt über ihn hinweg mit einem Kondensstreifen hinter sich auf den Himmel die neue Zeit markierend. Das sind Bilder und Szenen so prägnant wie die Sprache der Erzähler, deren Funktion alle acht Schauspieler in 30 Rollen übernehmen.

Das berührt nicht zuletzt deshalb, weil alle Schauspieler Roths Figuren in ihrer fokussierten Lebensauthentizität aufleuchten lassen. Reinhard Peer zeigt Sohn Tobias als einfachen Geist, dem gehorchen leichter fällt als denken. Tobias Ulrich macht als kluger Sohn Schemarjah dessen Karriere als smarter Sam in den USA glaubhaft, David Tobias Schneider das Leid eines Epileptikers. Antonia Reidels Deborah bleibt trotz aller Verletzungen einer verachteten Frau eine kämpfende Lebenspraktikerin. Tochter Mirjam wird in ihrer Sexsucht durch Josepha Sophia Sems zum Gegenbild dieser Mutter, mehr noch zur Parabel für den modernen Menschen, der durch die Vielfalt des Angebots in Psychosen abstürzt.

Herzstück ist Joachim Vollrath als Mendel Singer in allen seinen Facetten. „Gottesgläubig“ züchtigt er mit altbiblischer Brachialität seine Söhne. Lieblos lässt er seine Frau verkümmern, vernachlässigt er vor lauter Gottesliebe die Menschenliebe. So muss dieser Mendel Singer alle Prüfungen der Lieblosigkeiten des Lebens durchleben, um die eigene Lieblosigkeit zu erkennen. Das ist mehr als Theater. Das ist unabhängig von der Religion die große Frage nach dem Sinn des Leids.

Premiere Landshut 11.04.2014

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