James Joyce schrieb „The Dead“ 1907 im Alter von 25 Jahren; die metaphysische Erzählung bildet den Schwer- und Endpunkt seines Prosawerks „Dubliner“. „Die Toten“ enthält autobiografische Bezüge und steht thematisch in Beziehung zu seinen späteren bedeutenden Romanen „Ulysses“ und „Finnegans Wake“. Der irische Autor, der zu den wichtigsten Vertretern der literari-schen Moderne zählt, wurde 1941 in Zürich begraben.
Mit der letzten Inszenierung „Die Toten“ verabschiedet sich Barbara Frey am 16. Mai 2019 von ihrer zehnjährigen Intendanz am Schauspielhaus Zürich. Musikalisch stark geprägt von Jürg Kienberger und Barbara Frey, widmet sich der sehr persönliche und experimentelle Abend James Joyce‘ entfesselter Sprache und dem Fortleben der Toten unter den Lebenden.
Miss Kate und Miss Julia, zwei ledige Damen einer vergehenden Generation, richten zum Jahresausklang traditionell einen nächtlichen Ball in Dublin aus. Draussen fällt unaufhörlich Schnee. Zur geladenen Gesellschaft aus
dem irischen Mittelstand zählen Familienangehörige, Mitglieder aus Miss Julias Chor, juvenile Klavierschüler von Miss Kate, alte Freunde der Familie, ein bekannter Operntenor der Stadt und auch Gabriel und seine Frau Gretta. Gabriel ist der Lieblingsneffe der Gastgeberinnen und er befindet sich in nervöser Stimmung, denn er wurde als Schriftsteller auserkoren,
die Festrede zu halten: „Gabriels warme zitternde Finger pochten gegen die kalte Fensterscheibe. Wie kühl musste es draussen sein. Wie angenehm wäre es, allein hinauszugehen, erst den Fluss entlang und dann durch den Park! Schnee läge auf den Zweigen und bildete eine helle Kappe oben auf dem Wellington-Denkmal. Wie viel angenehmer wäre es dort als an der Abendtafel!“
Das gesellschaftliche, künstlerische Ereignis von Rang ist eine gut inszenierte, sich bereits im Verfall befindende Illusion, die Gabriel wie ein Fremder wahrnimmt. Im Morgengrauen wollen die letzten Gäste das Fest verlassen, als die heisere Stimme des Tenors erklingt, der zurückgelassen im Flügelsaal ein tragisches Lied singt. Gretta horcht gebannt im Schatten des Treppenabsatzes und ihr Mann, der sie währenddessen betrachtet wie ein Maler ein Bild, erkennt, dass seine Frau ein Geheimnis mit sich trägt, welches ein überwältigendes Begehren in ihm auslöst.
Im Hotelzimmer erfährt er von seiner abwesend erscheinenden Frau, dass sie zutiefst erschüttert ist von einer schuldhaften Erinnerung, die das Lied in ihr wachgerufen hat. Ein Junge, mit dem sie verbunden war, als sie selbst noch ein Mädchen war, hatte eben dieses Lied häufig für sie gesungen. Schwer erkrankt holte er sich den Tod, nachdem er Gretta im Winterregen ein letztes Mal aufgesucht hat. Gabriel wird zunächst von rasender Eifersucht erfasst aufgrund der Präsenz des Toten in Grettas Leben. Doch die Grenze zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wird porös und der Schnee fällt ohne Unterschied auf die Lebenden wie auf die Toten.
„Seine Seele hatte sich der Region genähert, wo die unermesslichen Heerscharen der Toten ihre Wohnung haben. Er war sich ihrer unsteten und flackernden Existenz bewusst, aber er konnte sie nicht fassen. Seine eigene Identität entschwand in eine graue ungreifbare Welt: die kompakte Welt selbst, die sich diese Toten einstmals erbaut und in der sie gelebt hat-ten, löste sich auf und verging.“
Barbara Frey war nach Arbeiten u.a. am Theater Neumarkt, am Nationaltheater Mannheim und am Deutschen Schauspielhaus Hamburg von 1999 bis 2001 Hausregisseurin an der Schaubühne am Lehniner Platz Berlin, 2005 bis 2008 in gleicher Funktion am Deutschen Theater Berlin. Wiederholt inszenierte sie am Theater Basel, am Bayerischen Staatsschauspiel in München („Onkel Wanja“ wurde 2004 zum Berliner Theatertreffen eingeladen), am Burgtheater Wien und bei den Salzburger Festspielen, sowie an der Bayerischen Staats-oper München sowie der Semperoper Dresden. Am Schauspielhaus Zürich führte sie 2005 bei Ibsens „John Gabriel Borkman“ und 2007 bei Schnitzlers „Reigen“ Regie. Seit der Spielzeit 2009/10 ist Barbara Frey Künstlerische Direktorin, seit 2011/12 Intendantin des Schauspielhauses Zürich.
2009/10 inszenierte sie Schillers „Maria Stuart“, Shakespeares „Was ihr wollt“, und die Uraufführung „Malaga“ von Lukas Bärfuss. „Fegefeuer in Ingolstadt“ von Marieluise Fleißer, das Edgar Allan Poe-Projekt „A Dream Within a Dream“ und „Platonow“ von Anton Tschechow war unter ihrer Regie-handschrift in der Spielzeit 2010/11 zu sehen. 2011/12 inszenierte Barbara Frey Büchners „Leonce und Lena“ und „Richard III.“ von William Shake-speare, 2012/13 Ibsens „Baumeister Solness“, „Der Menschenfeind“ von Moli-ère sowie – im Rahmen von „Arm und Reich – „Die schwarze Halle“ von Lukas Bärfuss. 2013/14 eröffnete sie mit Kafkas „Prozess“ die Spielzeit im Pfau-en und inszenierte Goldonis „Der Diener zweier Herren“, 2014/15 waren ihre Inszenierungen von Tschechows „Drei Schwestern“ und „Yvonne, die Bur-gunderprinzessin“ von Witold Gombrowicz zu sehen, 2015/16 folgten die deutschsprachige Erstaufführung von Jon Fosses „Meer“ und das zusammen mit Fritz Hauser entstandene Projekt „Nachtstück“. In der Saison 2016/17 inszenierte sie die Uraufführung „Frau Schmitz“ von Lukas Bärfuss und „Ja-kob von Gunten“ nach dem Roman von Robert Walser, 2017/18 Kleists „Der zerbrochne Krug“ und „Zur schönen Aussicht“ von Ödön von Horváth. In ihrer letzten Spielzeit am Schauspielhaus Zürich 2018/19 inszeniert Barbara Frey Shakespeares „Hamlet“, sowie „Die Toten“ nach der Erzählung von James Joyce.
Barbara Frey ist Jurymitglied des Gertrud-Eysoldt-Rings, sowie des Thea-terpreises Berlin der Stiftung Preussische Seehandlung. Im Mai 2016 wurde Barbara Frey für ihre Verdienste um das Theaterschaffen in der Schweiz der Schweizer Theaterpreis verliehen.
Die Toten - Ein Projekt nach der gleichnamigen Erzählung von James Joyce Deutschsprachige Erstaufführung Regie: Barbara Frey
Regie Barbara Frey
Bühne Martin Zehetgruber
Kostüme Bettina Walter
Musik Barbara Frey & Jürg Kienberger
Dramaturgie Geoffrey Layton
Licht Rainer Küng
Mit: Benito Bause
Jürg Kienberger
Claudius Körber
Michael Maertens
Lisa-Katrina Mayer
Elisa Plüss
Weitere Vorstellungen im Pfauen:
20./29./31. Mai, 20:00 Uhr
26. Mai, 19:00 Uhr
2. Juni, 15:00 Uhr
4./11./13./14./18./20. Juni, 20:00 Uhr 24. Juni, 19:00 Uhr
Das Bild zeigt James Joyce