"Ein Fest für Boris" ist Thomas Bernhard erstes Theaterstück, das er 1966 für die Salzburger Festspiele als Auftragsarbeit geschrieben hatte, das damals aber nicht zur Aufführung kam, weil es zu "düster" sei und man "Rücksichten auf die Nerven unser empfindsamen Gäste" nehmen müsse. 1970 wurde es schließlich am Hamburger Schauspielhaus unter Claus Peymann uraufgeführt, der Beginn einer fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen ihm und Bernhard. Die am Düsseldorfer Schauspielhaus gezeigte Fassung entstand in Koproduktion mit den Salzburger Festspielen, wo sie am 27. Juli im Landestheater Premiere hatte.
Bei einem Unfall hat die „Gute“ genannte Hauptperson des Dramas (Viviane de Muynck) ihren Mann und beide Beine verloren. Seitdem hadert sie mit ihrem Schicksal. Pausenlos redet sie über Belanglosigkeiten. Sie schikaniert ihre Dienerin Johanna (Nadine Geyersbach) ununterbrochen, indem sie sie beständig anklagt und unaufhörlich etwas von ihr fordert, um es im nächsten Augenblick zu widerrufen. Johanna reagiert schon gar nicht mehr auf ihre Einlassungen, harrt schweigend neben ihr aus. Wie der Guten Reden kreisen derweil ein Sessel und ein Kronleuchtergebinde unaufhörlich über das Bühnenrund. Dazu legt die Gute in ihren Redepausen eine Schallplatte auf, die immer wieder den Beginn des Wesendonk-Liedes "Im Treibhaus" von Wagner wiedergibt.
Der zweite Akt steigert die Demütigungen und zeigt uns die beiden Protagonistinnen nach einem Maskenball, der als Wohltätigkeitsball in den höchsten Kreisen stattfand. Die Gute räsoniert als Königin in pompösem Kostüm mit Krone über Geld und Macht, Johanna muss eine Schweinsmaske tragen und Schmuckstücke aufschnappen. Die Gute hat den beinlosen Boris aus dem gegenüberliegenden Asylheim geheiratet. Was sich nach außen hin als ein menschenfreundlicher Akt darbietet, entpuppt sich aber als Ausweitung ihres Herrschaftsbereiches. Jedoch versuchen sowohl Johanna als auch Boris sich diesem zu entziehen, in dem sie gar nicht auf ihre Forderungen eingehen und sich zudem hinter ihrem Rücken auf ein Techtelmechtel einlassen.
Das eigentliche Fest für Boris findet dann im dritten Akt statt. Zu Boris Geburtstag hat sie seine ehemaligen beinlosen Genossen aus dem Asylheim eingeladen. Johanna muss sich während des Abends ebenfalls beinlos geben. Das eigentliche Fest besteht aus Klagetiraden über die Zustände im Pflegeheim und aus Kuchenwerfen, derweil sich die Gute aufgrund ihrer Versprechen, die Zustände verbessern zu wollen, als Wohltäterin feiern lässt.
Christiane Pohle spielt in ihrer Inszenierung mit dem Absurden. Bei allen Beinlosen sind die Beine noch vorhanden, sie sind nur nicht mehr gehfähig. Statt Handschuhen und Hüten wie in Bernhards Vorlage probiert die Gute Strümpfe und Schuhe an, allerdings nicht an den Beinen, sondern an den Händen. Die Festgesellschaft der Aufbegehrenden und sich Vollfressenden wird bei ihr zur biederen Kaffeekränzchenveranstaltung. Auch das Ende des Stückes gestaltet sie völlig um. Hier ist es nicht Boris, der Selbstmord begeht, sondern Johanna die Boris quasi im Liebestod erwürgt. Somit wird Boris seiner bei Bernhard vorhandenen Selbstbestimmung, des letzten Aktes des Aufruhrs und Protests, beraubt. Und statt ob des Todes von Boris in Gelächter auszubrechen, ist die Gute nur leicht erschüttert.
Die bitterböse Vorlage deutet Christiane Pohle in ihrer Inszenierung um. Ihr lag offenbar daran, die sich hinter dem Redeschwall oder auch dem penetranten Schweigen verborgenen Gefühle sichtbar zu machen. Grandios gelingt Viviane de Muynck und Nadine Geyersbach das schwierige Beziehungsgeflecht von Leere, Ohnmacht, Abhängigkeit, Zuneigung, Mitleid, Hass, Macht sichtbar zu machen. Einfühlsam loten sie die Tiefen ihrer Figuren aus. Und zum Schluss wird deutlich, dass der Schein trügt: die alles dominierende Gute wird in Wahrheit von der unterwürfigen, schweigsamen Johanna beherrscht.
Inszenierung: Christiane Pohle
Bühne: Annette Kurz
Kostüme: Maria-Alice Bahra
Darsteller (in): Viviane de Muynck, Nadine Geyersbach, Thomas Wodianka, Markus Danzeisen, Stephan Drücke, Urs-Peter Halter, Oliver Held, Winfried Küppers, Nicolas Rosat
Premiere am 16.9.2007, Großes Haus