Das kaum kaschierte Hänsel und Gretel-Zitat („Ist es für den Rückweg?“) etabliert schon zu Beginn die Sehnsucht nach einer Heimat oder einem Zuhause, die in Handkes zwischen Alltäglichem und Mythischem virtuos jonglierender Text-Welt jedoch zunehmend anachronistisch anmutet.
Eingerahmt von einem formal gefassten Solisten-Trio – „Der Zuschauer“, „Der Protagonist“ und „Der Dritte“ – pilgern immer wieder Paare scheinbar ziellos über den kaum definierten Bühnenraum, und die Versatzstücke ihrer Sprechtexte enthüllen ein Ausmaß an vergeblicher Sinnsuche, das in seiner provokant ausgestellten Banalität geradezu beklemmend ist („Und?“ – „Höchstens noch ein, zwei Tage.“ – „Und es gibt keinen Ausweg mehr?“ – „Nein.“ – Hast Du auch alles versucht?“ – „Alles.“).
Dass Handke bzw. Regisseur David Pountney in der zweiten Stückhälfte mit einem veritablen Ikonen-Kabinett aus Tätern und Opfern der abendländischen Religionsund Kulturgeschichte aufwarten – Salome und Herodes, Abraham und Isaak, Medea und Ödipus, gepaart mit Octavian und der Marschallin aus dem Rosenkavalier (für Handke wie für Hofmannsthal ist die Zeit ein „sonderbar Ding“) – vergrößert die Not ins Metaphysische, ohne jedoch in Erlösung zu münden.
Diesen wachen Text vom Beginn des dritten Jahrtausends zu einer Oper umzugestalten, ist eine Aufgabe, für die Philip Glass wie kein Zweiter prädestiniert erscheint. Trotzt doch sein Opernschaffen als Hommage an große „Lichtgestalten“ der Menschheit – Einstein, Gandhi oder Echnaton – der Geschichte mutig jenen Sinn ab, den ihr Handke vordergründig nicht mehr zuzutrauen vermag.
David Pountneys Uraufführungs-Inszenierung verweigert sich allerdings jeder tristen Resignation, verfällt aber auch keinem hohlen Zukunftsoptimismus. Während im ersten Akt der Oper die Handke-Szenen geradezu mit Beckettscher Schärfe zugespitzt werden, entlarvt der zweite Akt die Sinnstiftungsangebote der Mythen mit fröhlicher Respektlosigkeit als heillose Versprechen. Der Showdown zwischen dem abdankenden „Protagonisten“ und dem auf Geschichten bestehenden „Zuschauer“ hinterfragt subtil die Setzung, dass jede Story zwangsläufig Sinn beinhaltet oder erzeugt. Die Suche macht den Sinn postuliert ein fulminant euphorisches Finale, das alle Verirrten an dem Ort vereint, der den Heimatlosen aller Zeiten – von Aischylos’ Orest bis Handkes Kaspar – vielleicht als einziger ein Zuhause geben konnte und kann: das Theater.
Auftragswerk des Landestheaters Linz
Oper in drei Akten für Sänger, Schauspieler, Tänzer, Chor und Orchester
Libretto nach dem gleichnamigen Stück von Peter Handke eingerichtet von Rainer Mennicken
In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln
MUSIKALISCHE LEITUNG Dennis Russell Davies / Ingo Ingensand
INSZENIERUNG David Pountney
BÜHNE Robert Israel
KOSTÜME Anne Marie Legenstein
CHOREOGRAFIE Amir Hosseinpour
LICHTDESIGN Fabrice Kebour
CHORLEITUNG Georg Leopold
DRAMATURGIE Wolfgang Haendeler
Mit
Martin Achrainer / Seho Chang (F), Elisabeth Breuer / Martina Fender (K), Iurie Ciobanu / Matthäus Schmidlechner (H), Bram de Beul (A), Nikolai Galkin / Dominik Nekel (J), Gotho Griesmeier / Mari Moriya (E), Kathryn Handsaker / Martha Hirschmann (G), Kathryn Handsaker / Christa Ratzenböck (Der Dritte), Jacques le Roux / Pedro Velázquez Díaz (C), Cheryl Lichter / Karen Robertson (D), Peter Pertusini (Der Protagonist), Sophy Ribrault (B), Lutz Zeidler (Der Zuschauer) sowie das Tanzensemble aus: Sergio Gianotti, Clara Pascual Martí, Giselle Poncet, Morgan Reid, Stine Rønne, Emanuele Rosa, Tine Schmidt, Eva Svaneblom, Ilja van den Bosch
Chor des Landestheaters Linz
Extrachor des Landestheaters Linz
Kinder- und Jugendchor des Landestheaters Linz
Gastchöre des Landes OÖ
Statisterie des Landestheaters Linz
Bruckner Orchester Linz