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Uraufführung: Magret Wolfs Kammeroper "Refidim Junction"; eine szenisch-dokumentarische Aktion,Mainfranken Theater Würzburg Uraufführung: Magret Wolfs Kammeroper "Refidim Junction"; eine...Uraufführung: Magret...

Uraufführung: Magret Wolfs Kammeroper "Refidim Junction"; eine szenisch-dokumentarische Aktion,Mainfranken Theater Würzburg

10. November 2012 | 20 Uhr | Theater in der Bibrastraße | Würzburg. -----

Den Impuls für diese Produktion gab die Veröffentlichung des von Rosa Grimm herausgegebenen literarischen Gesamtwerkes der Würzburger jüdischen Dichterin Marianne Dora Rein „Marianne Rein – Das Werk“, das anlässlich des 100. Geburtstages der Schriftstellerin im Ergon Verlag erschienen ist.

Die Ausdruckskraft der Briefe und Gedichte, aber auch das individuelle Schicksal von Marianne Dora Rein, stellen beeindruckende Zeugnisse jüdischen Lebens während der Zeit des Nationalsozialismus in Würzburg dar. Ihre Worte stärken aber nicht nur die Erinnerung an eine Zeit, die unfassbar für die Menschheitsgeschichte ist, sie geben vielmehr dem Schicksal tausender jüdischer Mitbürger ein Gesicht. Angesichts der in der Stadt Würzburg aktiv gelebten Erinnerungskultur lag es für die deutsch-israelische Komponistin Magret Wolf nahe, sich künstlerisch mit der Geschichte der Juden in Würzburg und dem Holocaust auseinanderzusetzen. Mit der Komposition der Kammeroper Refidim Junction versucht sie diese Geschichte konkret erfahrbar zu machen, den Dialog mit der Stadt Würzburg und den Menschen, die hier leben, aufzunehmen und somit die Erinnerung zu bewahren.

 

Wolf verarbeitet in ihrer Kammeroper die Briefe der Würzburger Schriftstellerin aus den Jahren 1939 bis 1941. Dabei stellt sie der Figur der Marianne Dora Rein mit Perl Margulies eine weitere jüdische Zeitzeugin gegenüber. Die textliche Grundlage bilden hier die Briefe Perls, die sie zwischen 1933 und 1934 an ihren bereits nach England emigrierten Mann geschrieben hat. Es entsteht so ein fiktiver Dialog, der in der Gegenüberstellung eines ohnehin dialogischen Mediums eine neue Struktur mit vier beteiligten Parteien ergibt. In diesen Briefen geben sie ihr Innerstes preis, auf der Suche nach Rettung und nach sich selbst. Aber nicht nur das individuelle Schicksal dieser beiden jüdischen Frauen wird in dieser szenisch-dokumentarischen Aktion lebendig, es werden auch Begriffe wie Boykott, Ausgrenzung, Ausweisung, Verfolgung, Emigration in greifbaren und konkreten Ereignissen erfahrbar gemacht.

 

Durch intensive Auseinandersetzung mit dem vorliegenden literarischen Material und Recherchereisen nach Israel versucht sich Regisseur Kai Christian Moritz gemeinsam mit seinem Team den Persönlichkeiten der beiden jüdischen Frauen auf Augenhöhe zu nähern und ihre Lebenssituationen vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus und der Judenverfolgung herauszuarbeiten. Dabei bestand die Herausforderung vor allem darin, sich dem nicht dramatischen Sujet „spielerisch“ anzunähern. Das Gestaltungskonzept der Bühne folgt nicht dem Guckkastenprinzip, der Zuschauer wird vielmehr bereits beim Eintreten in den Saal durch die räumliche Installation direkt ins Geschehen hineingezogen.

 

Magret Wolfs Komposition wird von zwei extrem gegensätzlichen Zustandsbeschreibungen geprägt: Unruhe und Erstarrung. Diesem Spannungsfeld sind die beiden Frauen Marianne und Perl in ihrer ganz persönlichen Lebenssituation ausgesetzt. Wolf vertont in Refidim Junction diese Polarität äußerst differenziert: Bewegung vermittelt sie durch schnelle Tonrepetitionen in nuanciert geschriebenen rhythmischen Varianten und Akzentverschiebungen, Erstarrung durch extrem lange Liegetöne. Diese musikalischen Figuren stehen in der Komposition nicht nur nebeneinander, sondern werden auch übereinander geschichtet ‒ quasi als in Klang umgesetzte Situation, etwas unternehmen zu müssen, aber letztlich doch nichts tun zu können. Mit diesen „Vokabeln“ erzählt das Orchester die Geschichte der beiden Frauen Marianne und Perl. Die Besetzung besteht neben Bläsern und Streichern aus Harfe, Cembalo, zwei Akkordeons und einem groß besetzten Schlagzeugapparat. In die Orchesterstruktur eingearbeitet sind die von zwei Schauspielerinnen rezitierten Briefe. An Stellen, an denen die Sprache an ihre Grenzen stößt, geht das gesprochene Wort in das gesungene Wort über und unterstreicht durch zum Teil ausladende Melodien die momentane Befindlichkeit.

 

Koproduktion von Mainfranken Theater Würzburg mit der Hochschule für Musik Würzburg

 

Team:

Musikalische Leitung Ulrich Pakusch a. G.

Inszenierung und Video Kai Christian Moritz

Bühne und Kostüme Sandra Dehler

Lichtdesign Andreas Herold, Thomas Ratzinger

Dramaturgie Christoph Blitt

Regieassistenz Hadass Shambadal

 

Mit:

Marianne I Katja Beer a. G.

Perl I Judith Beifuß*

 

Marianne II Charlotte Sieglin a. G.

Perl II Britta Scheerer a. G.

 

Chor I Veronica Brandhofer, Anna Feith*, Hiroe Ito,

Maximiliane Schweda*, Matthias Dennerle,

Julian Freibott*, Hyeong-Joon Ha

 

Chor II Waltraud Forster**, Claudia Schneider**,

Felix Hemberger**, Lothar Wolz**

 

Orchester Studierende der Hochschule für Musik Würzburg

 

* Studierende der Hochschule für Musik Würzburg

** Mitglieder des Bürgerchors des Mainfranken Theaters Würzburg

 

 

Biografien:

Magret Wolfs Musik wurde von renommierten Orchestern, Solisten und Dirigenten in Auftrag gegeben und aufgeführt wie etwa vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Arturo Tamayo (Studies No. 2), von Martyn Brabbins (On Plants and Plantaions mit Giora Feidman als Solist), von Ulf Schirmer, vom Moskauer Symphonieorchester (eine Live-Aufnahme von Studies in Breath an Sound wurde 1999 von der Edition der LfA herausgegeben), dem Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks unter der Leitung von Sian Edwards, den Dortmunder Philharmonikern (Qri’ah) sowie vom Orquestra Metropolitana de Lisboa (Michtam). Das Slowenische Radio Symphonieorchester Ljubljana

 

nahm ihre Oper Kirisk unter der Leitung von Lior Shambadal für ARTE NOVA/BMG (Sony 2003) auf, ein Auftragswerk des Pfalztheaters Kaiserslautern, das dort auch im Jahr 2000 mit Katja Beer in der Titelpartie uraufgeführt worden war. Das Israel Kibbutz Chamber Orchestra nahm ihr Hornkonzert Gilgal mit Meir Rimon für „Network Medien“ (Zweitausendeins 1991) auf. Sie schrieb auch eine Reihe von Kammermusikstücken, unter anderem Als Mirijam weiß wie Schnee wurde für das Frankfurter Bärmann-Trio, mehrere Stücke für den Zitherspieler Georg Glasl, das Ballett KAIN weHEWEL for Percussion Quintet für das Pfalztheater Kaiserslautern, eine Kammermusikversion von Cheleq für das Then Quartet oder Des Dichters Portrait und Tekassim für das Ensemble Forum 21. Ihre Komposition BaSHALECHET wurde vom Ensemble TrioLog uraufgeführt.

 

Magret Wolf wurde 1960 geboren und wuchs in München auf. Sie studierte Musiktheorie bei Richard Langely in Norfolk/Virginia (1974 bis 1980) und Komposition bei Peter Kiesewetter in München (1980/1981). 1982 und 1984 besuchte sie die „Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik“. Daneben studierte sie Judaistik und Vergleichende Musikwissenschaft an der Universität Wien (MA) und promovierte an der Bar-Ilan Universität, Ramat Gan/ Israel mit der Komposition von Cheleq und einem Artikel über das Zeitverständnis in Peter Kiesewetters „hebräischen“ Werken. Sie gibt Meisterkurse, so zum Beispiel 2006 an der Bilkent Universität, Ankara/Türkei.

 

Ulrich Pakusch studierte Orgel bei Daniel Roth, Klavier bei Wilhelm Ohmen und Dirigieren bei Max Pommer in Saarbrücken und Frankfurt am Main. Die Teilnahme in der Meisterklasse von Sergiu Celibidache und die Hospitanz bei Lorin Maazel prägten seine künstlerische Laufbahn. Sein beruflicher Werdegang führte ihn über die Städtischen Bühnen Regensburg, das Pfalztheater Kaiserslautern und das Badische Staatstheater Karlsruhe zum Mainfranken Theater Würzburg, an dem er von 2004 bis 2011 als Studienleiter und Kapellmeister engagiert war. Als musikalischer Leiter war Ulrich Pakusch verantwortlich für Produktionen wie Hänsel und Gretel, La clemenza di Tito (Rezitative in der Vertonung von Manfred Trojahn), Die Dreigroschenoper, Kiss me, Kate sowie für mehrere Uraufführungen. Sein Repertoire als Dirigent umfasst neben Werken des Musiktheaters auch Oratorien sowie Werke der klassisch-romantischen Symphonik. Neben seinen umfangreichen Aufgaben als Studienleiter und Kapellmeister intensivierte Ulrich Pakusch in den vergangenen Jahren die Zusammenarbeit mit Kollegen aus dem Schauspielensemble. Im gegenseitigen Austausch entstanden zahlreiche literarisch-musikalische Abende. Besonders erwähnenswert ist der Lyrikabend Deutschland. Ein Wintermärchen, bei dem Ulrich Pakusch als Mitglied des Then-Quartetts am historischen Hammerflügel von Christian Then mitwirkt. Daneben übt Ulrich Pakusch eine rege Tätigkeit als Konzertorganist und Liedbegleiter aus. Er gastierte unter anderem im Konzerthaus am Gendarmenmarkt, in der Berliner Philharmonie, in Paris und in der Jack-Singer-Hall Calgary. Liederabende mit dem Bariton Christoph von Weitzel führten ihn unter anderem in die „Alte Oper Frankfurt“, in das Theaterhaus Stuttgart und in die Philharmonie am Gasteig in München. Darüber hinaus ist er musikalischer Leiter der Konzertreihen in der Wallfahrtsbasilika zu Werl (Westfalen) mit einem Umfang von zehn Konzerten im Jahr. Seit dem Wintersemester 2006/2007 hat Ulrich Pakusch einen Lehrauftrag im Fachbereich „Oper“ an der Hochschule für Musik in Würzburg inne.

 

Kai Christian Moritz absolvierte sein Schauspielstudium in München an der Neuen Schauspielschule. Daneben studierte er Gesang bei Harriet Elger und Peter Pöppel und war Mitglied im Chor der Philharmonie München. Er konzipierte mehrere Soloprogramme mit den Pianisten Ulrich Pakusch, Viktor Åslund und Francis Gailus. Nach Schauspielengagements in München, Esslingen und Konstanz ist er seit der Spielzeit 2005/2006 festes Ensemblemitglied am Mainfranken Theater Würzburg, wo er als Mozart in Peter Shaffers Amadeus (Regie Hermann Schneider) sein Debüt gab. Weiterhin spielte er Pantalone in der Komödie Der Diener zweier Herren von Carlo Goldoni (Regie Bernhard Stengele), Robespierre in Dantons Tod von Georg Büchner (Regie Bernhard Stengele) und Selicour in Friedrich Schillers Der Parasit oder Die Kunst, sein Glück zu machen. Daneben war er in Aischylos Orestie als Aigisthos in Agamemnon und als Erinnye in den Eumeniden zu sehen. Neben seiner Darstellung des Seymore im Kleinen Horrorladen war Moritz in der Titelrolle der Uraufführung des Musicals Goscior als George/ Goscior zu erleben.

 

Für die Rolle des Cal in Bernard-Marie Koltès Der Kampf des Negers und der Hunde (Regie Axel Stoecker) wurde er mit dem Darstellerpreis der 27. Bayerischen Theatertage in Coburg ausgezeichnet. Im Dezember 2009 erhielt Kai Christian Moritz vom Theaterförderverein den Theaterpreis Würzburg. 2011 folgte ein Stipendium zum Internationalen Forum des Berliner Theatertreffens.

 

Nach einem Jahr der beruflichen und spirituellen Neuorientierung und der für ihn richtungweisenden Zusammenarbeit mit dem Dokumentartheatermacher Hans-Werner Kroesinger übernahm er im Herbst 2012 die männliche Hauptrolle Major Tellheim in Lessings Minna von Barnhelm unter der Regie von Intendant Hermann Schneider am Mainfranken Theater Würzburg. In der Spielzeit 2012/2013 feiert er sein Regiedebüt im Musiktheater mit der Uraufführung der Kammeroper Refidim Junction der deutsch-israelischen Komponistin Magret Wolf.

 

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