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ZAUBER MUSIKALISCHER VERWANDLUNG -- "Palestrina" von Hans Pfitzner an der Wiener Staatsoper

13. Dezember 2024

Der jüdische Uraufführungsdirigent Bruno Walter hat dieses Werk bis zuletzt geliebt, obwohl die im Jahre 1917 im Prinzregententheater in München erstmals aufgeführte Oper "Palestrina" aufgrund der antisemitischen Einstellung Hans Pfitzners nur selten gespielt wird. Die Wiener Staatsoper präsentiert nun eine eher konservative Inszenierung von Herbert Wernicke, der auch für Bühnenbild und Kostüme verantwortlich ist. Man sieht einen großen Konzertsaal mit Orgel - und die Farben Weiß-Gold und Beige-Gold erinnern an das Outfit der im Jahre 1955 neu eröffneten Wiener Staatsoper.

 

Manchmal könnte die metaphysische und spirituelle Komponente hier sogar noch stärker sein. Pfitzner war eine komplexe Figur. Mehr geachtet als geliebt, fühlte er sich schon zu seinen Lebzeiten oft verkannt und zurückgesetzt. Da er sehr deutsch war, konnte er auch nur in Deutschland auf Verständnis rechnen. Zwischen Strauss und Schönberg ist Hans Pfitzner 1869 als Sohn deutscher Eltern in Moskau geboren. Er studierte in Frankfurt und war dann als Lehrer und Dirigent in Berlin, München und Straßburg tätig.

Erzählt wird in diesem Werk vor dem Hintergrund des tridentinischen Konzils die Legende des berühmten Renaissance-Komponisten Palestrina, der in einer schöpferischen Ekstase innerhalb einer Nacht das Meisterwerk schafft, mit dem er eine ganze Musiktradition vor dem Untergang bewahrt. Er rettet buchstäblich die damalige Musik vor einem Verbot durch die Kirche. Die Bindekraft der Idee prägt das Bühnengeschehen. Ein szenischer Höhepunkt zeigt sich im ersten Akt, wo neun verstorbene Meister der Tonkunst in fahlem Licht bei Palestrina erscheinen, um sich freundlich mit ihm zu unterhalten. Da entfalten sich die sphärenhaften Wonnen entrückter Schaffensfreude tatsächlich in einer unnachahmlichen Weise.

Dies liegt vor allem an dem Dirigenten Christian Thielemann, der die chromatischen Verästelungen und Leitmotiv-Passagen dieser Musik mit dem wunderbaren Orchester der Wiener Staatsoper äusserst glutvoll zu Gehör bringt. Die Nähe zu Richard Wagners "Parsifal" ist so manchmal unüberhörbar, wirkt aber nicht aufgesetzt. In diesen drei Akten kann sich der schöpferische Künstler so in glaubwürdiger Weise entfalten. Die charakteristische Thematik geht nirgends verloren. Die Anlehnung an die Kirchentonarten und die spätmittelalterliche Polyphonie zeigt immer wieder eine eindringliche Wirkungskraft.  Unmittelbar aus Palestrinas "Missa Papae Marcelli"  stammen drei Motive, die als polyphones Satzgeflecht mit Leitmotiv-Funktion verwoben werden. Insbsondere die Streicher glänzen immer wieder in den unterschiedlichsten Klangfarben. So offenbart sich eine grandiose Palette zahlreicher dynamischer Spannungsfelder. Vielgestaltig abgewandelte Motive führen hier aber kein Eigenleben, sondern werden in den Gesamtablauf eingeflochten. Querköpfig klingen die Scherzi der Kardinäle mit dem exzellenten Chor der Wiener Staatsoper, an rhythmischen Eigenwilligkeiten mangelt es bei dieser Aufführung also wirklich nicht.

Das zeigt sich vor allem auch im zweiten Akt, wo bereits das Orchestervorspiel mit "Wildheit und Wucht" das aufgeregte Treiben der Welt stürmisch schildert. Der spanische Gesandte Graf Luna sprengt durch eine Provokation (nämlich die Einladung der Protestanten) die Versammlung. Es kommt zu einer Messerstecherei, nachdem die Kardinäle den Saal verlassen haben. Manche Intervallschritte sind träumerisch ausgefüllt, andere wiederum überraschen aufgrund ihrer forschen Präsenz. Immer leidenschaftlicher erhitzt sich bei Thielemann in jedem Fall die kontrapunktische Arbeit. So folgt tatsächlich eine träumerisch-erdentrückte "Pfitzner-Stimmung". Diese zeigt sich auch beim Auftritt des Papstes auf der Empore. Trompeten und Posaunen unterstreichen die melodische Intensität.

Michael Spyres erfüllt die Rolle des Palestrina mit strahlkräftigem Tenor und sonorem Ausdruck, ohne falsches Pathos und mit ergreifendem Ernst. In weiteren Rollen fesseln der markante Günther Groissböck als Papst Pius IV., Michael Nagy als Giovanni Morone, Michael Laurenz als Bernardo Novagerio und Wolfgang Bankl als Kardinal Christoph Madruscht. Prägnante Charakterisierungen erfahren ferner der römische Kardinal Carlo Borromeo durch Wolfgang Koch, der Kardinal von Lothringen durch Michael Kraus, der Patriarch von Assyrien durch Hiroshi Amako  sowie durch Jusung Gabriel Park als Erzbischof von Prag. In weiteren Rollen überzeugen unter anderem Adrian Eröd als Graf Luna, Matthäus Schmidlechner als Bischof von Budoja, Michael Gniffke als Bischof Theophilus und Ivo Stanchev als Bischof von Cadix.

So ist Christian Thielemann eine Ehrenrettung Pfitzners gelungen, dessen Kantate "Von deutscher Seele" bei ihrer Aufführung  in Deutschland 2007 zu Protesten führte. In Wien gab es vor allem Ovationen des Publikums für den Dirigenten Christian  Thielemann und Michael Spyres als den Darsteller des Palestrina.
 

 

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