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Uraufführung: "Letzter Stand I: allos autos" von Leonie Jenning, Martha Mechow - Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin

Premiere am 20. Oktober 2021 um 19.30 Uhr auf der Großen Bühne

Die Nächte während des Staus waren von roten und gelben Lichtern der Scheinwerfer gezeichnet. Ein Anblick, der die Sterne am Himmel in Verlegenheit gebracht haben muss, denn seit ein paar Abenden erscheinen nur noch wenige von ihnen. Ein Hupen aus 100 Meter Entfernung verriet, dass die Kolonne langsam wieder ins Rollen geriet. Um die Nachricht zu verbreiten, lief ich zum Mädchen im VW Bonjovi, die mit angezogenen Beinen auf der Hinterbank ihres Wagens schlief.

Das noch von der Sonne des Vortags aufgewärmte Blech des Fahrzeugs fühlte sich lebendiger als ihr Körper an, als ich an ihrem linken Bein zog.

 

Copyright: Charlotte Brandhorst

Ein gelber Plateauschuh fiel auf die Fahrbahn. Es war in diesem Moment, dass ich zum ersten Mal ihre nackten Füße sah. Die fast verheilte Schürfwunde auf ihrem Spann war klein und doch von großer Bedeutung. Eine Blase als Beweis dafür, dass wir unsere Körper einmal für mehr als das Bedienen von Maschine genutzt hatten. Hätte sie gekonnt, so würden sich ihre krummen Beine mit Sicherheit etwas Anderem widmen, als ab und an zaghaft auf ein Gaspedal zu drücken.
Schlürfen. Schreiten. Aber wohin? Die Wildnis, das waren Windräder, rotäugige Riesen.

Sie drehte sich um und presste ihre Stirn an vom Schweiß feucht gewordenes Kunstleder. Vor ein paar Stunden war sie unweit der Lärmschutzwand in die Knie gegangen. Man war sich einig, dass sie im Namen aller das Bewusstsein verloren hatte. „Der Ausweglosigkeit wegen“ hatte einer der Männer geflüstert, die sie später zurück zur Blockade trugen. Fast schon unbeeindruckt, denn alle waren sich einig, zu Tagesanbruch würde sie wiederauferstehen. Beweisen, dass der Glaube an dieses verfluchte Leben über den Tod hinausreichte.

Nun ragte auch das zweite Bein des Mädchens aus der Autotür und ich konnte zwischen den Riemen ihrer Sandalen eine weitere Narbe erkennen. Obwohl ihre Handinnenflächen einen makellosen Eindruck machten, war ich mir plötzlich ziemlich sicher, dass sie Jesus sein musste und ich sie liebte. Natürlich, eine Erlösung brachte sie nicht, das wusste ich sofort, denn dafür schätzte ich sie für viel zu nachtragend ein. Aber wohin hätte ich ihr auch folgen sollen, der Stau war keine 6 Meter vorwärts gerückt und doch, dachte ich mir, hatte die Begegnung mit ihr eine neue Zeitrechnung erfordert. Eine vor ihr und eine nach ihr.

Denn seit einer Weile schien die Welt im Umbruch und ein allgemeines Ende näher als jedes Ziel dieser Reisenden. Was soll ich sagen, heute hier und morgen gestern.

Mit: Antonis Antoniadis, Ann Göbel, Silvia Rieger, Nathalie Seiß, Yasmin El Yassini

Live-Musik: Fee Aviv Marschall
Live-Kamera: Luna Zscharnt

Regie: Martha Mechow, Leonie Jenning
Bühne: David Mohorič
Kostüme: Charlotte Brandhorst
Musik: Fee Aviv Marschall
Animation: Luis August Krawen
Video & Schnitt: Luna Zscharnt
Licht: Denise Potratz
Ton: Gabriel Anschütz
Dramaturgie: Vanessa Unzalu Troya

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