
"Sospesi" in der subtilen Choreographie von Vittoria Girelli präsentiert in Zusammenarbeit mit Francesca Sgariboldi ein Bühnenbild, das von großen architektonischen Elementen beherrscht wird und die Welt des Aristophanes beschwört. Die Weiterentwicklung des Raums wirkt wie eine wunderbare Umarmung des Himmels. Der Blick des Publikums wird nach oben zu Unbekanntem gelenkt. Dabei kommt es zu einer Gratwanderung zwischen verschiedenen Polen. Die Musik von Davidson Jaconello sowie die Lichteffekte von Lukas Marian spielen eine große Rolle. Zu Beginn erscheint alles wie in einem paradiesischen Garten. Mit einem geheimnisvollen Wandel der Musik kommt es auch zu einer Metamorphose der Figuren. Das verwandelt sich dann bei den Assoziationen zu Hieronymus Bosch ins Unheimliche. Die Metamorphose bringt hier ein Gefühl der Befreiung - der Sturz aus der himmlischen Sphäre endet bei Käfern und Würmern. Schönheit und Dunkelheit schaffen auch ein Gefühl der Entfremdung, das die Tänzerinnen und Tänzer Christopher Kunzelmann, Fabio Adorisio, Dorian Plasse, Daiana Ruiz, Aoi Sawano, Joana Senra und Fernanda Lopes mit großer Intensität beschwören.
Noch eindrucksvoller ist die Choreographie "La jeune fille et les morts" von Sasha Riva und Simone Repele gelungen. Zur Musik des zweiten Satzes von Franz Schuberts Streichquartett Nr. 14 in d-Moll "Der Tod und das Mädchen" spiegelt sich hier der symbolische Tod der Kindheit in einem faszinierenden Schneesturm. Auch das Erwachen der Sexualität mit der Wahrnehmung der schwindenden Unschuld und dem Aufkommen der Sinnlichkeit wird von dem Mädchen registriert. Es umarmt schließlich die tödliche Schönheit. So kommt es zu einer Meditation der Veränderungen, die die Tänzer Elisa Badenes, Martino Semenzato und Lassi Hirvonen eindringlich zelebrieren. Die Stimmen von Katharina Buck und Carlos Strasser ergänzen diese gespenstischen Eindrücke: "Vorüber! Ach, vorüber! Geh wilder Knochenmann!" Und der Tod erwidert: "Gib deine Hand, du schön und zart Gebild!" Die zerrissene, flehende Melodie der Violine wird tänzerisch in höchst bewegender Weise umgesetzt. Der unruhige triolische Untergrund mit dem gezupften Bass erhält eindringliche Bewegungen. Die Steigerung der motivischen Verzahnungen gelingt der Kompanie ausgezeichnet. Die Coda findet in ihrer Abgeklärtheit wieder ganz zur Ruhe der Liedmelodie zurück.
"Nachtmerrie" in der Choreographie von Marco Goecke lebt ganz von den blitzschnellen Bewegungen der Tänzer. Das Wort "Albtraum" als Übersetzung für "Nachtmerrie" ist für Marco Goecke allerdings nichts Schlimmes. Bei dieser Arbeit werden Träume von den beiden Tänzern Rocio Aleman und Marti Paixa in überaus abwechslungsreichen Bewegungen umgesetzt. Das "Budapest Concert" von Keith Jarrett und "Bad Romance" von Lady Gaga bilden den musikalischen Hintergrund. Da wird der Zuschauer visuell regelrecht verzaubert. Flatternde Bewegungen beschwören einen ungreifbaren Kosmos. Beim Pas de deux wachsen die Tänzer ganz zusammen. Und die Kostüme von Thomas Lempertz unterstreichen mit ihrem dunklen Habitus wiederholt auftauchende Momente, die im Dunkeln lange gelauert haben.
"Lost Room" als bewegungsreiche Choregraphie von Fabio Adorisio ist ganz von Sergej Rachmaninows Cello-Sonate in g-Moll op. 19 inspiriert. Gleichzeitig wird hier die Gegenwart mit der Vergangenheit verglichen. Dazu passt für Adorisio die Klarheit und Sensiblität von Rachmaninows Sonate. Pathetische Emphase und Tschaikowsky-Anklänge lassen den Tänzerinnen und Tänzern viel Raum für bewegungstechnische Virtuostät. Hinzu kommt dabei die dramatische Melodik von Edvard Griegs Cello-Sonate in a-Moll op. 36. Der leidenschaftliche Gesang des Cellos im ersten Satz mit einer zur Quinte zurückfallenden Kantilene des Hauptthemas wird von den Tänzern Daiana Ruiz, Irene Yang, Natalie Thornley-Hall, Edoardo Sartori, Lassi Hirvonen, Leon Metelsky und Riccardo Ferlito mit differenzierten Ausdrucksnuancen umgesetzt. Es kommt zu einer intensiven gestischen Zwiesprache mit der Musik. Ungeheure Emotioen halten Vergangenes fest.
Jubel, Ovationen, langer Schlussapplaus.