
Richard Strauss selbst neigte dazu, die Rolle der "Salome" lieber einem lyrischen als einem dramatischen Sopran anzuvertrauen. Insofern erfüllt diese Neuaufnahme mit der hervorragenden schwedischen Sopranistin Malin Byström in der Titelrolle die Erwartungen. Das Bergen Philharmonic Orchestra unter der impulsiven Leitung von Edward Gardner macht die kontrapunktischen Verästelungen der Partitur überzeugend deutlich, auch wenn das Klangbild manchmal differenzierter sein könnte. Die Farbenpracht der Klänge kommt trotzdem facettenreich zum Vorschein - und die Sänger werden durch die enorme Wucht des Orchesters nur selten "zugedeckt".
Dieses harmonische Farbenspiel ist dann tatsächlich in ständiger Bewegung. Die sinfonischen Zwischenspiele deuten die monumentalen Blöcke an, auch wenn die klangliche Durchsichtigkeit manchmal etwas darunter leidet. Der versierte Bariton Johan Reuter ist ein imposanter Jochanaan, dessen Anklagen feurig hervorgeschleudert werden. Die vitale Kraft der Tonsprache und die spielerische Artistik der thematischen Verflechtung zeigen insbesondere in der impulsiven Begegnung Salomes mit Joachanaan eine unmittelbare Wirkungskraft. Auch bei Salomes Schlussmonolog zeigt Malin Byström Format, selbst wenn die gesangliche Eindringlichkeit bei manchen Passagen zwischen As-Dur und Cis-Dur noch intensiver sein könnte. Die hymnische Feierlichkeit korrrespondiert plastisch und glühend bei der Erscheinung Joachanaans. Liedhafte Melodik und klare Harmonik überwiegen auch bei dieser insgesamt transparenten Aufnahme. Salomes Leidenschaftsmotiv wirkt in der Gestaltung von Malin Byström keineswegs aufgesetzt oder übertrieben.
In leuchtkräftigem H-Dur beginnt das Werben Salomes um Jochanaan. Und der ersten Liebeserklärung folgt eine schroffe Ablehnung. Bei der dritten Liebeserklärung überrascht eine ungewöhnlich starke dynamische Steigerung bei der Sequenz "Deinen Mund begehrte ich, Joachanaan". Wie eine Stretta erfolgt hier die letzte große Auseinandersetzung der beiden Kontrahenten. Leidenschaft prägt außerdem die Szene von Herodes mit Salome. Gerhard Siegel gelngt es als Herodes durchaus, die korrupten Züge dieser Oscar-Wilde-Figur bloßzustellen. Die tanzhaft im Sechsviertel- und Neunvierteltakt vorgetragenen Bitten des Herodes haben dabei sogar etwas seltsam Ironisches, während Salomes Zurückweisung umso heftiger klingt. Filigrane Melodielinien und Klarinettenpassagen verschmelzen sehr beweglich. Katarina Dalayman als Herodias unterstreicht das Mondäne und Obszöne dieser Protagonistin, der aber die Verruchtheit einer Klytämnestra fehlt. Doch es knistert recht fesselnd zwischen Herodes und Herodias, insbesondere dann, wenn sie ihre Tochter Salome verteidigt.
Die strenge Symmetrie des Judenquintetts könnte bei dieser Aufnahme noch präziser zum Vorschein kommen. Da sind Karl Böhm und Herbert von Karajan große Vorbilder. Die Juden werden von Michael Müller-Kasztelan, Petter Moen, John Michael Wrensted Olsen, James Kryshak und Callum Thorpe mit Akribie und Emphase verkörpert. Das Zusammenfinden und Loslösen der Stimmen gelingt hier nicht immer gleich eindringlich. Auch die wichtigen orchestralen Zwischenspiele glücken mit eher unterschiedlicher Präsenz und Wirkungskraft. Im ersten dominiert die aufgetürmte Motivwelt Jochanaans, im zweiten überwiegt die leidenschaftliche Motivsprache Salomes. Im dritten Zwischenspiel überzeugen vor allem zitternd-vibrierende Streichertremoli und Erregungsmotive. Stretta-Form und Walzerklänge vemischen sich in aufregender Weise. Das resolute Motiv von Salomes Tanz gelingt durchaus plastisch, die Welt der Stretta in cis-Moll und Cis-Dur zeigt geradezu unheimliche Wechselhaftigkeit. Diese Aufnahme beweist jedenfalls, dass Max Reger irrte, wenn er meinte, dass es sich hier nicht um einen Wendepunkt in der neuen Musik handle.
Gustav Mahler hat sich nicht umsonst zunächst erfolglos für dieses Werk eingesetzt. In weiteren Rollen gefallen noch Clive Bayley und James Stephen Ley als erster und zweiter Nazarener, Igor Bakan und James Platt als erster und zweiter Soldat sowie James Berry als Cappadocier und Rita Therese Ziem als Sklave. Bror Magnus Todenes macht die Verzweiflung des Narraboth grell deutlich. Hanna Hipp unterstreicht die Ängstlichkeit des Pagen der Herodias. Trotz Abstrichen ist auch diese Neuaufnahme hörenswert.