Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
FULMINANTE BESCHREIBUNG DES CHAOS -- Antrittskonzert von Francois-Xavier Roth mit dem SWR Symphonieorchester im Beethovensaal der Liederhalle STUTTGARTFULMINANTE BESCHREIBUNG DES CHAOS -- Antrittskonzert von Francois-Xavier Roth...FULMINANTE BESCHREIBUNG...

FULMINANTE BESCHREIBUNG DES CHAOS -- Antrittskonzert von Francois-Xavier Roth mit dem SWR Symphonieorchester im Beethovensaal der Liederhalle STUTTGART

am 19. September 2025

Einen Einblick in das vielseitige Spektrum des Repertoires des SWR Symphonieorchesters vermittelte dieses Antrittskonzert unter der Leitung von Francois-Xavier Roth.

 

In die Barockzeit versetzte die Zuhörer das erste Stück "Les Elemens, Symphonie Nouvelle" von Jean-Fery Rebel. Das Werk beginnt völlig atonal und beschreibt damit das Toben der Elemente. Diese Schilderung des "Chaos" war zur damaligen Zeit sicherlich eine Sensation! Formale Passagen wurden bei Loure, Chaconne, Ramage, Rossignols, Sicilienne oder Rondeau präzis herausgearbeitet - und auch die Vielschichtigkeit der Motive und Themen überzeugte das Publikum ungemein. Manches Detail erinnerte an Rameau. 

Mitglieder des SWR Vokalensembles gestalteten dann zusammen mit dem SWR Symphonieorchester unter Roth die kompakte Sinfonie für 8 Singstimmen und Orchester von Luciano Berio. Hier werden unter anderem das Scherzo aus Gustav Mahlers zweiter Sinfonie sowie "La Valse" von Maurice Ravel facettenreich verarbeitet. Thematische Verästelungen und motivische Merkmale schimmerten immer wieder ausdrucksstark hervor. Akkorde und Melodien werden der Erinnerung an Martin Luther King gewidmet, der einem Attentat zum Opfer fiel. Die durch Mikrophone verstärkten Stimmen des SWR Vokalensembles akzentuierten rhythmisiertes und freies Sprechen sowie Flüstern mit höchster Intensität und Konzentration. Zitate von Claude Debussy, Arnold Schönberg  und anderen verstärkten den Eindruck des Suggestiv-Irrealen bei den beiden Sätzen "O King" und "In ruhig fließender Bewegung". 

Zum Abschluss erklang die Sinfonie Nr. 8 in C-Dur D944 ("Große") von Franz Schubert. Sie entstand 1828 und wurde erst nach seinem Tode gefunden. Schumann entdeckte die Niederschrift zwischen verschiedenen Kompositionen im Nachlass, den der Bruder Ferdinand verwahrte. 1839 erklang sie zum ersten Mal im Leipziger Gewandhaus. Die langsame Einleitung des Andante im ersten Satz mit dem romantisch-naturnahen Thema der Hörner gewann rasch Kontur. Insbesondere das hallende Schlussecho als ausgeschriebenes Ritardando verfehlte hier seine Wirkung nicht. Da Roth züge Tempi wählte, trat die Innigkeit, Größe und Erregung des Themas leuchtkräftig hervor. Francois-Xavier Roth vermied als umsichtiger Dirigent übermäßige Melodik, stellte vielmehr das Schroffe und Ungestüme dieser Partitur heraus. Und auch wenn man sich manche Legato-Bögen der Streicher noch schwärmerischer und leidenschaftlicher gewünscht hätte, kamen Spannung und Energie dennoch nicht zu kurz. Im Allegro ma non troppo behauptete sich das erste Thema mit Vehemenz. In seinem mitreissenden, nahezu ritterlichen Schwung vereinte es nicht nur in den pulsierenden Holzbläsern tänzerisches und leidenschaftliches Feuer. Das zweite Thema strömte leuchtkräftig hervor, tänzelte in Oboen und Fagott daher. Das Labyrinth der Harmonien konnte sich unter Roths Dirigat überzeugend entfalten, wie eine Mahnung erklang das Vierton-Motiv der Posaunen. Durchführung und Coda waren von vorantreibender Energie geprägt. "Lieder ohne Worte" ließ der zweite Satz Andante con moto erkennen, der an Beethovens siebte Sinfonie erinnerte. Die Melodie der Oboe wurde jedenfalls sehr innig und bewegend herausgearbeitet. Auch der berührende Dur-Nachgesang blieb im Gedächtnis. In den Holzbläsern tauchte dann eine Weise von zarter Sehnsucht auf. Der poltrige Rhythmus des Scherzos bewies  im lebendigen Dialog von Geigen und Celli seine besonderen Reize. Geradezu draufgängerisch erschien zuletzt das Finale Allegro vivace. Pulsierend-wogende Triolen der Geigen vereinigten sich mit schärferen thematischen Konturen der Holzbläser - wie aus geheimnisvoller Ferne lockte der Hornton das zweite Thema herbei. Und vor allem die "himmlisch" ausgeweitete Coda gelang Francois-Xavier Roth mit dem SWR Symphonieorchester vorzüglich! 

Starker Schlussapplaus und "Bravo"-Rufe. Die SWR-Programmdirektorin Kultur, Wissen und Junge Formate, Anke Mai, sprach zum Antrittskonzert Roths ein Grußwort. Darin hieß sie den neuen Chefdirigenten des SWR Symphonieorchesters herzlich willkommen. Im Vorfeld sei dieser Neuanfang immer wieder in Frage gestellt worden. Sie bezog sich dabei auf Vorwürfe gegen Roth, die aber mittlerweile offensichtlich ausgeräumt werden konnten. 
 
  

 

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 19 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

BEWEGENDE NATURSCHILDERUNGEN -- Stuttgarter Philharmoniker mit der "Alpensinfonie" von Richard Strauss in der Liederhalle STUTTGART

"Erhabene Landschaften" standen diesmal im Mittelpunkt. Zunächst musizierten die Stuttgarter Philharmoniker unter der kompetenten Leitung von Frank Beermann die "Grand Canyon Suite" aus dem Jahre 1931…

Von: ALEXANDER WALTHER

DRAMATISCHE AUSDRUCKSKRAFT -- Neue CD "Letzte Lieder" mit Sebastian Naglatzki und Ana Miceva, beim Label Genuin erschienen

Mit ihrem Album "Letzte Lieder" widmen sich die Pianistin Ana Miceva und der Bassbariton Sebastian Naglatzki den letzten Liedkompositionen von Franz Schubert, Johannes Brahms, Hugo Wolf und Maurice…

Von: ALEXANDER WALTHER

DER TEUFELSGEIGER ALS GITARRIST -- Ensemble Visconti Plus im Schloss BIETIGHEIM-BISSINGEN

Das Visconti-Quartett wurde 2006 aus Mitgliedern der "sueddeutschen kammersinfonie bietigheim" und Lehrern der Bietigheim-Bissinger Musikschule gegründet. Der Name dieses Ensembles geht auf die aus…

Von: ALEXANDER WALTHER

BLICK IN DEN DIGITALEN ABGRUND -- Premiere "KI essen Seele auf" von Thomas Köck im Kammertheater STUTTGART

In Regie, Konzept Bühne & Kostüm von Mateja Meded taucht der Zuschauer in die bizarre Welt der Künstlichen Intelligenz immer tiefer ein, weil es die drei hervorragenden Schauspielerinnen Therese Dörr,…

Von: ALEXANDER WALTHER

MEISTER INTENSIVER KLANGFLÄCHEN -- Konzert des SWR Symphonieorchesters zum 90. Geburtstag von Helmut Lachenmann in der Liederhalle STUTTGART

Unter der inspirierenden Leitung von Francois-Xavier Roth musizierte das SWR Symphonieorchester zwei wichtige Werke zum 90. Geburtstag von Helmut Lachenmann, der beim Konzert anwesend war. Zunächst…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑