Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
MIT GLUT UND LEIDENSCHAFT -- Sinfoniekonzert des Staatsorchesters Stuttgart unter Sylvain Cambreling in der Liederhalle STUTTGART MIT GLUT UND LEIDENSCHAFT -- Sinfoniekonzert des Staatsorchesters Stuttgart...MIT GLUT UND...

MIT GLUT UND LEIDENSCHAFT -- Sinfoniekonzert des Staatsorchesters Stuttgart unter Sylvain Cambreling in der Liederhalle STUTTGART

Oktober 2025

Viel Temperament brachte der frühere Generalmusikdirektor der Staatsoper Stuttgart, Sylvain Cambreling, bei seinem Gastdirigat beim Staatsorchester Stuttgart mit. Dies zeigte sich schon beim Konzertstück in F-Dur für vier Hörner und Orchester op. 86 von Robert Schumann, das dieser im Jahre 1849 schrieb. Pablo Neva Collazo, Fabian Schröder, Christina Heckmann und Martin Grom (Hörner) musizierten zusammen mit dem Staatsorchester Stuttgart unter Cambreling wie aus einem Guss.

 

 

Copyright: Liedeerhalle Stuttgart

Da blühten die Kantilenen leidenschaftlich auf. Gleichzeitig blitzt hier die barocke Tradition des Concerto grosso immer wieder in erfrischender Weise hervor. Das erste Horn übernahm bei der gelungenen Aufführung in der Liederhalle forsch die Führungsrolle - und nach zwei eröffnenden Akkordschlägen des Orchesters erklang das fanfarenartige Triolen-Motiv sehr erfrischend. Auch der kantable Seitensatz stach reizvoll hervor. Die leidenschaftliche Bewegung der Violoncelli und die chromatischen Passagen des Ventilhorns im zweiten Romanzen-Satz prägten sich ebenfalls tief ein. Die Trompeten-Fanfare leitete zum letzten Satz über, dessen reiches thematisches Material geradezu aufblühte. 

Sehr interessant war auch die Begegnung mit der Orchestersuite "Erdbeben. Träume" aus den Jahren 2020 und 2023 von Toshio Hosokawa. Das Werk geht  auf Heinrich von Kleists Novelle "Das Erdbeben von Chili" zurück, die der Schriftsteller Marcel Bayer mit seinem Libretto in einen Albtraum verwandelte. Im Zentrum steht dabei der unehelich gezeugte Sohn Philipp. Seine Eltern Josephe und Jeronimo werden bei Kleist als Sünder dargestellt. Ein verheerendes Erdbeben verhindert jedoch die Vollstreckung des Todesurteils und beide können fliehen. Mit dem Erdbeben bricht jedoch eine Massenpanik aus, bei der Philipps Eltern getötet werden. Philipp überlebt den Gewaltausbruch. In Hosokawas Oper "Erdbeben. Träume" dominieren die suggestiven Traumbilder. Dynamische Differenzierungen der Streicher und Bläser mit ausdrucksvollen Tremolo-Passagen der Violinen und sich ständig steigernde Crescendo-Sequenzen des Schlagzeugs hinterließen bei den Zuhörern im Beethovensaal einen starken Eindruck. Das Erdbeben von Fukushima im Jahr 2011 hat bei dieser Komposition auch eine Rolle gespielt. 

Zum Abschluss riss die temperamentvolle Wiedergabe der Sinfonie Nr. 4 in f-Moll op. 56 von Peter Tschaikowsky das Publikum ganz unmittelbar mit. Tschaikowsky hat dieses Werk seiner Gönnerin Frau von Meck gewidmet. Pathetische und dramatische Eingebungen arbeitete Sylvain Cambreling mit dem Staatsorchester Stuttgart hervorragend heraus. Die Einleitung ließ den Haupteinfall hell hervorleuchten. Schicksalsgewalt brach sich nicht nur in den Blechbläsern mit eherner Macht Bahn! Das untröstliche Gefühl wurde hier immer stärker. Der Wechsel von flüchtigen Visionen und freundvollen Träumereien hinterließ einen starken Eindruck. Und die zweite Themengruppe wurde durch leicht dahingleitende Läufe der Holzbläser eingeleitet. Die zarte Streichermelodie bildete hier einen sanften Gegensatz. Die Phase der Sehnsucht beherrschte den zweiten Satz, dessen dynamische Schattierungen überzeugend herausragten. Dabei beeindruckte der F-Dur-Kontrast. Das Scherzo mit dem Pizzicato der Streichinstrumente kam mit schwebender Leichtigkeit daher. Darauf folgte der von Bläsern und Pauken dezent gestaltete Mittelteil. Die Pikkoloflöte setzte dann groteske Lichter über die Szene. Mendelssohn und Berlioz ließen in geheimnisvoller Weise grüßen. Beim Finale in F-Dur drehte Cambreling mit dem fulminant musizierenden Staatsorchester Stuttgart noch einmal voll auf! Auf die furiose Einleitung über einem Hörner-Ostinato folgte eine melancholische russische Volksmelodie in den Holzbläsern. Und die Coda geriet geradezu überwältigend-orgiastisch. Zum Glück fehlte hier bloße Äusserlichkeit. Bassposaune, Tuba, Pauken, große Trommel, Triangel und Becken gingen gewaltig in die Tiefe. 
Jubel im Beethovensaal.   

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 17 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

DIE GROSSE SACHE -- Ein Abend mit dem Roman FRANZISKA LINKERHAND von Brigitte Reimann im Gerhart-Hauptmann-Haus Düsseldorf

‚Es ist ein Mädchen.‘ Brigitte Reimann wurde 1933 geboren, in Burg bei Magdeburg, im bösen Jahr von Hitlers Machtergreifung. Nach dem Krieg kam ein anderes, diesmal persönliches Unglücksjahr auf sie…

Von: Vera Forester

Gefährdete Jahreszyklen - "Il Cimento dell’Armonia e dell’Inventione" von Anne Teresa De Keersmaeker, Radouan Mriziga / Rosas, A7LA5 im tanzhaus NRW Düsseldorf

Antonio Vivaldis "Le quattro stagioni" ist wahrscheinlich das bekannteste und beliebteste klassische Musikstück, das fast jeder in der westlichen Welt kennt, liebt oder wegen seiner Allpräsenz nicht…

Von: Dagmar Kurtz

LEIDENSCHAFTLICH UND ERGREIFEND -- "Otello" von Giuseppe Verdi in der Staatsoper STUTTGART

Die vier Elemente Wasser, Erde, Feuer und Luft spielen in Silvia Costas Inszenierung von Verdis "Otello" eine große Rolle. Shakespeares "Otello" wird hier im Libretto von Arrigo Boito ins Wesentliche…

Von: ALEXANDER WALTHER

OHNE MICH WÄRE MEIN LEBEN VIEL EINFACHER -- Kabarett mit Inka Meyer im Kleinkunstkeller BIETIGHEIM-BISSINGEN

Nordische Impressionen aus Friesland standen im Mittelpunkt des Kabarettabends "Zurück in die Zugluft - die unerträgliche Seichtigkeit des Scheins" mit der Kabarettistin Inka Meyer. 60 Prozent aller…

Von: ALEXANDER WALTHER

MUSIK, DIE ÜBER DAS BEKANNTE HINAUSGEHT -- Neue CD "The Star Of Mendelssohn" mit Marina Baranova (Klavier) bei Berlin Classics

Die deutsch-ukrainische Pianistin Marina Baranova hat Musik schon früh als universelle Sprache verstanden. In ihrer Kindheit wurde sie durch ihre Familie von Bach, Mozart, Jazz und Blues geprägt.…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑